Zum Tod von Friederike Mayröcker

Friederike Mayröcker und Alexander Kluge, 2018 (Wien)

Friederike Mayröcker und Alexander Kluge, 2018 (Wien) Foto: Sandro Zanziger

Mit großer Trauer hören wir vom Tod der großen Friederike Mayröcker. In unseren Herzen lebt sie fort.
Alexander Kluge und das Team der dctp

 


»Ach mein Herz, dieser Donnerkasten«

Seit ich, dumm vor Schmerzen im Arm, dringliche Kotzsucht auf dem gan­zen Weg, unsägliches Gefühl des Versagens, mit dem Taxi noch in letzter Minute die Intensivstation erreichte und durch die Diagnose Herzinfarkt über den Ewigkeitswert meines Körpers desillusioniert wurde (ich hatte bis dahin die Symptome zu nichts Ganzem zusammengereimt), habe ich, ausgeschlafen, weiß gebettet und an Geräte angeschlossen, zu meinem Kreislauf wieder Vertrauen gefaßt. Ständig irritiert, beobachte ich meinen Körper wie ein fremdes Wesen, wie einen Beschuldigten. Ich wage wenig. Und ich muß doch als Opernsänger aus Berufsgründen täglich den Einsatz meines Lebens wagen.

Mein Stimmfach ist spezialisiert auf »hoher französischer Tenor«, eine Kunstgattung, die auf den GROSSEN BÜHNEN DER WELT fast ausge­storben ist. Meyerbeer, Rossini, Auber und das Repertoire herzlicher Schmarren der französischen Demi-Opéra des 19. Jahrhunderts. Ich hoffe, daß Mark Andre eine neue Partie für mich schreibt.

Das Herzliche, das in der Schwingung meiner Stimmbandeinstellung liegt, etwas von einer sehr hohen Trompete, benötigt nicht nur Lungen­kraft, vielmehr scheint mir, daß ich winzige Quanten meiner Person mit diesen Ausbrüchen der Leidenschaft von mir gebe, so daß ich – aus Tem­perament, aus Innigkeit -, wenn ich viele tausend Mal so singe, mich als Körper ganz in Ausdruck verwandelt haben werde. Das Zentrum des Ge­sangs sind einerseits Luftreserven im unteren Lungenbereich, aber ich ver­füge offenbar auch über Luftsäcke in der Darmzone, die ich zur Stützung nutze. Wo andere verdauen, stemme ich meine Höhe.

Dieses »Wunderwerk an emotionaler Reizung«, wie eine Kritikerin in New York es nannte, hat mit dem konventionellen Muskel, den wir Herz nennen, nichts zu tun und ist deshalb von meiner verringerten Hoffnung, die ich in den Bestand des Muskels in meiner linken Brustseite setze, nicht betroffen. Was sich auf meine Hörer überträgt, ist demgemäß kein »Herz­blut« (wie jene wohlwollende Kritikerin behauptete), sondern darmge­stützter Lungen-Kehlen-Auswurf, eine scharfe, an den Stimmbändern ent­langfegende Puste, die meinen ganzen Lebenssaft ausmacht. Das nenne ich – im Gegensatz zu dem wetterwendischen, von Löchern durchsetzten SCHWAMM, der das Blut durch meinen Körper treibt (mein physisches Herz) – meinen DONNERKASTEN. Es ist ein Herz im spirituellen Sinne, für das Rossini seine Extraarien schrieb – so die quasi mir anvertraute Arie des Arnold, eines verliebten schweizerischen Söldnerhauptmanns, der mit der historischen Handlung des Wilhelm Teil an sich nicht zwingend zu tun hat, zweckfreier und gedankenfreier Geistesflug mit vier hohen F: eine »Enklave purer Musik« in dieser letzten Oper Rossinis (oft ausgeliehen an andere Werke des Meisters). Ich nenne diese »Zauberei der lichten Hö­he« einen EINLIEGER FÜR BÜHNE, DONNERKASTEN UND OR­CHESTER.

Über mehr als 100 Jahre hinweg geradewegs für mich komponiert. Ich habe meine Darbietung eines »celestischen Vulkans, der von oben, also vom Himmel herab auf die Erde, niederspeit« – und es ist nicht Lava, was er schenkt -, digital in bester Qualität aufnehmen lassen, so daß der Donnerkasten, mein wahres Herz, noch schlagen wird, wenn ich längst nicht mehr bin.

Der alberne Muskel links unter meinem Hals bleibt ein Versager. Oft rede ich mit ihm, locke ihn wie einen träge gewordenen Hund, werfe Stöck­chen, streichle ihn, um ihn noch eine Zeitlang willig zu halten.

Mein Terminkalender verzeichnet Auftritte in Buenos Aires, Singapur, Oslo, Cottbus, Pferdsinnig an der Elster, an der Staatsoper im Schillerthea­ter in Berlin, in Zürich, Angkor Wat (Freilichtaufführung) und Adelaide. Das will ich unbedingt noch durchhalten, solange meine Stimmlippen die Töne tragen.

Aus: „Hochöfen der Seele“. Ein Opernführer. In KONGS GROßE STUNDE, Suhrkamp
 


Wir stellen aus Anlass des Todes von Friederike Mayröcker einige Filme ins Magazin.

► Soprane Bellinis / Superheroes

Ein Film für Friedericke Mayröcker. „WO DU AUCH HINGEHST mit deinen träumenden Füszen“.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 


► Ameisenstraße in der Nähe des Olymp

Mit Versen von Friederike Mayröcker.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 


► Staatsbahndirektion Lemberg

Mit Versen von Friederike Mayröcker.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 


► Venedig, Dein goldenes Haar

Triptychon
Caterina Cornaro, Adoptivtochter der Republik Venedig. Letzte Königin von Zypern.