Aus dem Archiv: „Das Gehirn, unser Zuhause“


Jeder Mensch auf der Welt trägt lebenslänglich eine Kultur mit sich und jede dieser Kulturen, sagt der Hirnforscher Prof. Dr. med. Detlef B. Linke, bewegt sich im Rahmen der Verfassung des menschlichen Gehirns. Der Mensch bedient sich des Gehirns, aber die Gehirne bedienen sich auch des Menschen. Die Strukturen des Hirns erzeugen die Kultur jederzeit neu. Das Gehirn funktioniert als „Sinngebungsmaschine“. Es ist deshalb für Menschen fast unmöglich, vollständig unsinnige Reden zu erfinden. Eine große Rolle spielen die Eigenschaften der rechten und der linken Gehirnhälfte. Die rechte Gehirnhälfte ist dabei die Herrin der Metamorphosen und der großen Erzählungen. Sie entscheidet über hart und weich in der Kultur. Das Wort Kultur bedeutet im Lateinischen „heilen, pflegen“. Das hat mit den 180 Begriffen von Kultur, mit denen die UNESCO umgeht, wenig zu tun. Es ist eine Grundeigenschaft der Menschen. Sie ist auch nicht nur gutherzig. Spannend ist in diesem Zusammenhang, sagt der Hirnforscher Prof. Dr. med. Detlef B. Linke, dass im 20. Jahrhundert in der Prägung der menschlichen Psyche der Ödipus-Komplex immer mehr vom Perseus -Komplex abgelöst wird. Perseus ist ein Glückssucher, der der Medusa das Schlangenhaupt abschlägt und alle Welt täuscht, indem er das Grauenhafte selbst nur im Spiegel ansieht, während er seine Feinde durch direkten Anblick des Grauens tötet. Weder Vater noch Mutter, sondern nur der Großvater muss durch ihn sterben. Er gewinnt eine liebenswürdige Frau. Er hat viele Menschen getötet, aber immer vermieden, schuld daran zu sein. Ein Ödipus, der sich immer bedeckt hält. Dieser Held repräsentiert, sagt Prof. Dr. med. Detlef B. Linke, den Zusammenhang von Gehirn und Kultur besser als der archaische Ödipus. Er wird nicht blind, sondern arbeitet für die „virtuelle Realität“.
► „Das Gehirn, unser Zuhause“ (news & stories von 03.07.1995)


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► „Kann ein Mensch ohne Kopf noch laufen?“

Hirnforscher Detlef B. Linke über Störtebekers Enthauptung: Des Seeräubers letzter Wunsch war, dass diejenigen seiner verurteilten Gefährten, an denen er nach seiner Enthauptung noch langlaufen könne, begnadigt würden. Es gelang ihm tatsächlich, als kopfloser Rumpf an mehreren Gefährten langzulaufen und sie so zu retten.



►“Falschgesichter“

Es ist bekannt, dass die linke Hemisphäre des Gehirns die rechte Gesichtshälfte und umgekehrt die rechte Hemisphäre des Gehirns die linke Gesichtshälfte regiert. Der Filmemacher Michael Heinrich hat die Gesichtszüge von Menschen so zusammengesetzt, dass sich die verschiedenen Charaktere, die im selben Gehirn koexistieren und sich im gleichen Menschen, im gleichen Gehirn und im Antlitz verbergen, widerspiegeln: bei Einstein, bei Churchill, bei Adenauer und bei verschiedenen anderen Bundeskanzlern, bei Privatpersonen, bei Privatpersonen, bei Schauspielern und bei vielen anderen: „Falschgesichter“.



► „Die Rache des Chirurgen“

Ein berühmter Chirurg, in den späten 30er-Jahren aus Wien nach Java ausgewandert, ist während des japanisch-chinesischen Kriegs Leiter des Bezirkskrankenhauses in Batavia. Ein Schrotthändler lieferte regelmäßig die auf dem Kriegsschauplatz in China eingesammelten Geschossreste nach Japan, wo sie erneut zu Munition verarbeitet wurden: eine besonders gefährliche Art von Schrott, weil die unvollkommen zusammengebackenen Metallhülsen die Körper der Verwundeten wie Dumdumgeschosse zerlegen. Es gab grässliche Wunden. Eines Tages wird dieser Schrotthändler mit Blinddarmdurchbruch in das Krankenhaus des Chirurgen eingeliefert. Nach gelungener Operation deponiert der Chirurg ein am Fußboden gefundenes dreckiges Stanniol Teil einer Zigarettenpackung in der Operationswunde: Schrott gegen Schrott. Das ist die Rache des Chirurgen. Eine japanische Erzählung nach einem Motiv von Immanuel Kant. Musik-Magazin.