Der Tod dieses großen Mannes in seinem 91. Jahr ruft in mir starke Erinnerungen herauf. dctp.tv widmet ihm Filme, in denen er spricht.
Als Initiator der Perestroika und von Glasnost, einer einmaligen politischen Reformbewegung in Russland, die viel zu früh endete, hat Michail Gorbatschow einen Horizont für Abrüstung und eine kooperative Zukunft der politischen Mächte in dieser Welt geschaffen. Nichts daran war falsch. Danach aber hat Russland, aber auch der Westen fast alles falsch gemacht: Weltmächte steuern auf eine Karambolage zu.
Ich sehe Gorbatschow am 6. Dezember 1989. Im Mittelmeersturm vor Malta liegen im Hafen dort große Schiffe. Das eine hat den US-Präsidenten Bush Senior, das andere den Präsidenten Russlands, Michail Gorbatschow, hierher gebracht. Die beiden und ihre Stäbe – darunter als Zeitzeuge der Außenpolitiker Valentin Falin – verhandeln, wie es mit dem deutschen Herbst und den Unabhängigkeitsbewegungen, die sich 1989 zeigen, weitergeht. Es werden Einigungen ins Auge gefasst. Viele der damaligen Versprechungen wurde inzwischen gebrochen. Wie Götter in einem Barockdrama sitzen hier zwei verantwortungsbewusste Chefs von zwei Supermächten und sorgen dafür, dass keine Sabotagen und Zwischenfälle den Einigungsprozess in Europa stören.
Wir sollten alle Fragen im Verhältnis von Ost und West heute dringlich neu prüfen, wie sie in den Augen eines verantwortungsbewussten Mannes wie Gorbatschow aussehen.
Ich grüße einen großen Toten.
Alexander Kluge
► 1440 Sekunden mit Michail Gorbatschow in München / Die Goldkette
Tageslauf mit Michail Gorbatschow in München. Gespräch über seine Jugend, seine Großeltern, darüber, wem er sich verantwortlich fühlt. Die Geschichte einer Goldkette aus dem Jahre 1908 und die höchst verschiedenen Tonarten in den Exklusivinterviews mit Presse und TV je nachdem, wer ihn fragt. Außerdem die große Rede in den Kammerspielen. Ein Tag hat 1440 Minuten, „10 vor 11“ zeigt davon 1440 Sekunden. Ein farbenreiches Portrait einer anstrengenden Aktion: „Eines langen Tages Reise in die Nacht“.
► „Der Mann des Jahrzehnts“ (Man of decade)
Michail S. Gorbatschow begann als „ein Herrscher über ein Sechstel der Erde“ im Jahre 1985. Im August 1991 nimmt er auf einem Heimvideo-Gerät auf der Krim, gefangengesetzt wie von Terroristen, Stellung: Er warnt die Nation. Das Band wird aus der Kassette herausgelöst und in einem Briefumschlag als zerknitterte Strippe dem russischen Fernsehen übergeben. Ein weiter Weg von der „kommunikativen Allmacht“ des Jahres 1985 zu dieser Strippe aus Polyester 6 Jahre später. Dieser Mann, dem wir 900 Sekunden widmen, ist: „Der Mann des Jahrzehnts“ (The Time).
► Der Überfall der Buschräuber
Ein Wiedersehen mit Michail S. Gorbatschow am Tag der Wahlen in Russland. Diese Wahl in Russland erinnert, auch deshalb, weil Gorbatschow in ihr als Wahlkämpfer teilnimmt, an den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums im Dezember 1991. Dies war offenbar auch das Ende einer anfangs hoffnungsreichen Reformbewegung (Glasnost, Perestroika), die mit Gorbatschows Namen verbunden bleibt. Der amerikanische Außenminister James E. Baker III (1989-1992), der gerade jetzt sein Buch „Drei Jahre, die die Welt veränderten“ veröffentlicht, berichtet von seinem letzten Besuch bei Gorbatschow. Praktisch nahm der amerikanische Außenminister die Erklärungen der verschiedenen Kontrahenten in der Krise wie ein Schiedsrichter entgegen. Gorbatschow selbst nennt die Verschwörung, die die Präsidenten von Russland, von Belarus und der Ukraine in Minsk anzettelten und die den Zusammenbruch der Sowjetunion auslöste, einen „zweiten Putsch“ und einen „Überfall der Buschräuber“.