Aus dem Archiv: Verrückte Entschlossenheit als Kennzeichen des Kriegs in Jugoslawien



Warum schießen Heckenschützen bevorzugt auf Reporter? Was war die Idee der Gründung „Südslawiens“ nach 1918? Was verbindet das Attentat in Sarajevo im Sommer 1914 mit der heutigen Krise, die die Weltmächte beschäftigt? Die Wurzeln des Konflikts reichen bis auf die Reichsteilung im Jahre 395 zwischen Byzanz und Westrom zurück. Schon damals entstanden Militärprovinzen, deren Bevölkerungsteile gegeneinander in Stellung gebracht wurden: griechisch-orthodox, katholisch. Nach dem Untergang von Byzanz rückten die Türken in die Position Ostroms, die Habsburger in diejenige Westroms. Auf der Berliner Konferenz Ende des vorigen Jahrhunderts wurde Bosnien-Herzegowina, ehemals türkisches Gelände, an Habsburg verscherbelt. Peter Sartorius, Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat bereits beim Auseinanderbrechen des jugoslawischen Bundesstaats vor Ort beobachtet und immer erneut in seinen Berichten auf der Seite 3 der Süddeutschen Zeitung den Konfliktherd beschrieben. Was ist der Hintergrund Franjo Tudjmans, einem Oberst in der Partisanenarmee Titos und Historikers? Wie kommt es zu den diplomatischen Schnellschüssen von Hans-Dietrich Gentscher, unmittelbar vor dem Weihnachtsfest 1991, und damit zur Anerkennung Kroatiens und Sloweniens? Wie hängen Geschichte und Gegenwart in diesem mörderischen Geschehen, das in Bosnien-Herzegowina stattfindet und stattfand, zusammen?

► Verrückte Entschlossenheit als Kennzeichen des Kriegs in Jugoslawien (News & Stories vom 22.01.1996)


Sehen Sie dazu auch auf dctp.tv

► Vergewaltigung von Frauen im Krieg

Die Filmemacherin Helke Sander hat eine 3-stündige Filmdokumentation über die Vergewaltigung an Frauen bei der Besetzung Deutschlands im 2. Weltkrieg veröffentlicht. Dieser Film ist heftig diskutiert worden. Jetzt hat Helke Sander mit ihrem Team Frauen im ehemaligen Jugoslawien befragt. Es ergibt sich eine erschütternde Bestätigung, in welcher Weise der Krieg Gewaltpotentiale gegen Frauen auf sexuellem Gebiet freisetzt. Diese Gewaltsamkeit ist, sagt Helke Sander, jedoch offensichtlich bereits in den Friedenszeiten angelegt und wird jetzt durch den Krieg öffentlich.


► Eine Mischung aus Bergsteiger und Schachgenie

Ambassador ret. Richard Holbrooke, zugleich Chairman des AMERICAN INSTITUTE, kommt aus der Schule von Henry Kissinger. In der Bosnienkrise gelang ihm der Abschluss des Abkommens von Dayton. In der modernen Shuttle-Diplomatie kommt es auf den physischen Einsatz genauso wie auf den geistigen an. Richard Holbrooke bezeichnet die Anforderungen an den Beruf des Diplomaten als „eine Mischung aus Bergsteiger und Schachgenie“.


► Die Menschheit stirbt in Afrika

Peter Sartorius, Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat an Ort und Stelle in Südafrika die Ausbreitung der HIV-Epidemie untersucht. Er hat die ANKUNFT DES SCHWARZEN REITERS auf diesem Teil des Globus in einer Aufsehen erregenden Artikelserie dokumentiert. In einem Jahrzehnt hat der Aids-Virus in Afrika mehr Opfer gefordert, als die Sklaverei in einem Jahrhundert, sagt Peter Sartorius. Wie kommt es zu diesem millionenfachen Tod? Werden die Menschen aus ihrer Lethargie gerissen? Die HIV-Epidemie zerstört nicht nur menschliche Körper, sondern auch den gesellschaftlichen Mechanismus in Afrika, der für den Aufbau von Gemeinwesen die Voraussetzung ist. Zugleich, sagt Peter Sartorius, erstaunt ihn die Würde, mit der die erkrankten Menschen auf dieses Schicksal antworten. Die Menschheit kam ursprünglich aus Afrika. Es gibt Zeichen, dass sie z. Zt. in Afrika stirbt.


► Der Tausch Fleisch gegen Grütze

Vor mehr als 100.000 Jahren, nämlich in Zeiten, aus denen das Skelett von Luzie, unserer Urmutter stammt, lebten die weiblichen und männlichen Mitglieder der menschlichen Gesellschaft in ursprünglicher Koexistenz. Die allein jagenden Männer brachten Fleisch zu den Orten, an denen die Frauen mit ihren Kindern siedelten und erwarben sich Sympathien, die der Fortpflanzung dienten. Im Austausch für das Fleisch erhielten sie Körner (Grütze). Wenig später muss eine soziale Katastrophe stattgefunden haben. Sie ist wie ein nuklearer Brennstoff in die Menschheit eingelagert. Diese ursprüngliche Krise, sagt die Filmemacherin Helke Sander, ist der innere Grund für Krieg, sexuelle Gewalt und sprichwörtliche Nicht-Eignung des Menschengeschlechts zu dauerhaftem Glück. Ein Eindruck, der sich nach den Revolutionen in Osteuropa vertieft. Helke Sander, die 32 Filme hergestellt hat, berichtet zu dieser Langzeitwirkung alter Konflikte. Sie beschreibt das „gesellschaftlich Unbewusste“. Im Gegensatz zu Sigmund Freuds psychologisch Unbewusstem gibt es für das gesellschaftlich Unbewusste keine Forscher und Analytiker. Die Feministin und Filmemacherin hat mit ihrem dreistündigen Film über Vergewaltigung von Frauen im 2. Weltkrieg und durch ihren neuesten Film über sexuelle Gewalt gegen Frauen im ehemaligen Jugoslawien Aufsehen erregt. Bei endgelagerten Konflikten, sagt Helke Sander, ist es immer folgendermaßen: sie führen ein ewiges Leben, gerade wenn und weil man nicht an sie denkt.


► Geraubte Seelen, Verbranntes Leben

Vor 228 Jahren begann mit der Landung der ersten Strafgefangenen die europäischen Besiedelung Australiens. Seit etwa 60.000 Jahren lebten dort Ureinwohner, die Aborigines. Die aggressive Inbesitznahme des Kontinents durch die Weißen hat die Aborigines vor allem dadurch entwurzelt, daß ihnen im 20. Jahrhundert die Kinder und Jugendlichen zwangsweise weggenommen wurden, um sie nach den Vorstellungen der weiß-australischen Gesellschaft zu erziehen.

Peter Sartorius, Leitender Redakteur der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, über das Schicksal der Aborigines in Australien.