Aus dem Archiv: Weites Land



Gerd Ruge ging 1956 als erster ARD-Korrespondent nach Russland. In der Krise des Imperiums war er Leiter des ARD-Filmstudios in Moskau. In seinen TV-Reportagen und in seinem faszinierenden Buch WEITES LAND berichtet er von dem, was er selber sah und erlebte. Was ist das für eine Zeitreserve des Planeten: Das weite Land, das wir Sibirien nennen? Auf dem teuersten Bauplatz Russlands, im Zentrum von Moskau, wird die Erlöserkirche wiedererrichtet. Sie wurde einst von dem Zaren gebaut, um den Sieg über Napoleon zu feiern. Tschaikowsky schrieb für die Akustik dieser Kirche die „Ouvertüre 1812“. Die Sowjets rissen 1931 das große Gebäude ab. Sie wollten dort den Palast der Sowjets errichten. Chruschtschow machte ein Freiluftschwimmbad daraus. Jetzt sammelt der OB von Moskau Luschkow von den Banken das Geld, um die Kirche neu zu errichten und die Schindeln des Daches zu vergolden. Ein Land voller Chancen und Merkwürdigkeiten: Gerd Ruge über russische Perspektiven, russische Erfahrungen.

► Weites Land (News & Stories vom 30.03.1998)

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► Russland und die Deutschen

Die Geschichte Russlands und Deutschlands in den vergangenen 300 Jahren kennt Zeiten großer Faszination aber auch Zeiten erbitterter Feindschaft. Die Zarin Katarina die Große war eine deutsche Prinzessin aus dem Hause Anhalt-Zerbst. Die Zarin holte die besten Gelehrten Deutschlands und der Schweiz an ihre Petersburger Akademie. Ihr Sohn Alexander war es dann, in dessen Dienst sich die Elite des preußischen Militärs nach der Niederlage Preußens begab und der Europa von Napoleon befreite.

Wenige Beziehungen zwischen Nationen waren so wechselhaft wie die zwischen Russland und Deutschland. Ende des 19. Jahrhunderts ist die Faszination, die von der russischen Dichtung, z.B. von Dostojewski, ausging, unbeschreiblich. Parallel zu diesem Auf und Ab der wechselseitigen Beziehungen kann man sehen, wie Alexander von Humboldt den Ural und das Innere Russlands erkundet und den Reichtum an Smaragden und Diamanten als Erster entdeckt. Neben den aggressiven Begegnungen wie sie im Zweiten Weltkrieg stattfanden, gibt es eine faszinierende Hinwendung zum Geheimnis der russischen Weiten, geografisch, ökonomisch und spirituell, von deutscher Seite.

Katja Gloger, Publizistin beim STERN, beschreibt diese Suche nach dem „russischen Geheimnis“ in ihrem neuesten Buch.


► Selbsttötung als letztes Argument

Das neueste Buch der weißrussischen Autorin Swetlana Alexijewitsch heißt: „Im Banne des Todes, Geschichten russischer Selbstmörder“. Nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums haben die Freitode in Russland massiv zugenommen. Swetlana Alexijewitsch ist den Einzelschicksalen nachgegangen, sowohl in Fällen des versuchten Selbstmordes, wie in den Fällen von Lebenskatastrophen, die nicht verhindert wurden. Der Marschall der Sowjetunion Achramejew setzte seinem Leben bereits unmittelbar nach dem Putsch in Moskau im August 1991 ein Ende. Andere Menschen, wie eine Kellnerin, ein Söldner, ein Techniker, eine Ingenieurin geraten in die Lebenskrise aus scheinbar unpolitischen Gründen. Wie bei den berühmten Selbstmordfällen im Russland der 20er Jahre (Zwetajewa, Jessenin, Majakowski) deutet die Selbsttötung oder der Selbsttötungsversuch an, dass sich ein Mensch von der Zeitgeschichte zerschlagen fühlt: So kann er nicht leben. Der Freitod ist ein letzter Einspruch, ein letztes Argument in einer Gesellschaft, die so viele Jahrzehnte auf dem Argumentieren beruhte.


► 100 Jahre Russische Revolution (1917 – 2017)

Die Bilder von der Machtergreifung Lenins im Jahre 1917, verbunden mit dem „Sturm auf den Winterpalast“ in St. Petersburg, stammen alle aus Gemälden und Filmen aus den späten 20er Jahren. Wie eine Lava-Schicht liegen der spätere Terror Stalins und die ihm vorausgehende Propaganda auf den realen Ereignissen. Im Jahr 2017, also nach 100 Jahren, macht es Sinn, wie ein guter Archäologe gerade die Anfangszeiten der Russischen Revolution auszugraben.

Die zwei russischen Revolutionen von 1917, die im Februar und die im Oktober, haben ihre Wurzel in der Russischen Revolution von 1905. Sie sind ohne diesen Zusammenhang nicht zu verstehen. Der krasse Unterschied zwischen der anfänglichen Vielfalt dieser revolutionären Bewegung zu dem späteren Erstarren in der nach Stalin benannten Planwirtschaft, wird gerade auf dem Hintergrund des frischen Elans von 1905 besonders deutlich. Max Weber in Heidelberg war 1905 von den Ereignissen in Russland (vor allem im Süden des Reiches) so beeindruckt, dass er anfing Russisch zu lernen. Seine berühmte „Zeitschrift für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik“ war ursprünglich bestimmt, diese politisch-sozialen Vorgänge zu verstehen. Wladimir Lenin und Max Weber sind einander nie begegnet. Möglicherweise hätten sie sich in der ersten Stunde ihres Dialogs bereits verzankt. 100 Jahre später aber wäre es – in einem Jahr, in dem sich viele Medien mit dem 100-Jahres-Jubiläum befassen werden – interessant, sich ein Nachtgespräch zwischen den beiden Geistern über den tatsächlichen Erfahrungsgehalt und die Einzelheiten des revolutionären Prozesses vorzustellen.

Der Osteuropa-Historiker Prof. Dr. Martin Aust von der Universität Bonn berichtet.


► Die Abgründe meines Jahrhunderts

In dem Politbüro, das unter Gorbatschow die Perestroika und Glasnost einleitete, war Alexander Jakowlew der führende theoretische Kopf. Unmittelbar vor dem Moskauer Putsch, auf dem dramatischen letzten Parteitag der KPDSU, trat er von allen Ämtern zurück. Aus Protest gegen Gorbatschows Zögern. Seine Autobiografie gibt spannende und neue Einblicke in die „Nachtstunden des Jahrhunderts“, die zum Abbruch des Reformprozesses in Russland führten. Begegnung mit dem heutigen Historiker und früherem Politbüromitglied Alexander Jakowlew.


► Vision urbaner Welten

Er baut den höchsten Wolkenkratzer Europas, den FEDERATION TOWER in Moskau (Höhe 411 Meter). Er entwarf in Berlin den neuen Hotelkomplex DomAquarée, in dem die Hotelbesucher durch eine Unterwasserwelt im Aufzug in die Höhe fahren. Seine kühnen Zeichnungen und Entwürfe urbaner Landschaften, darunter Ruinen-, Unterwasser- und Himmels-Architekturen, sind berühmt.
Der Architekt Dipl-Ing. Sergei Tchoban, geboren in St. Petersburg, berichtet von seiner Arbeit.