„Das neue Alphabet“: Hörspiel von Alexander Kluge

Widerständigkeit des Erzählens.
Alexander Kluge beschwört in seinem Hörspiel eine poetische Kraft, die uns temporär Schutz bieten kann vor den Algorithmen, mit denen Silicon Valley uns zu sehen und erkennen meint. In kleinen Erzähleinheiten fahren Lebensgeschichten auf, werden Anekdoten ausgebreitet, überraschende Verbindungen geknüpft. Dabei wird ein ungemein scharfes Bild von unserer Welt vermittelt, die im Zuge der Digitalisierung aller Lebensbereiche wieder einmal eine andere werden musste.

Die Wagenburg, wir kennen sie aus dem Western: In höchster Not und rasender Fahrt bilden die Gefährte der Siedler einen Kreis, um ihre provisorische Heimstatt auf vier Rädern in eine Festung zu verwandeln – ein verzweifelter Versuch durchzuhalten, bis Rettung naht. Denn gegen die Wagenburg brandet an das Fremde, Andere, Wilde. Die Wilden. Ihre Geschosse, ihr Geschrei, ihre schier endlose Zahl lässt das Blut der Siedler in den Adern gefrieren. Was sie mit sich schleppen gen Westen, die Zivilisation eines anderen Kontinents, ist in Gefahr und manchmal wird das Leben gelassen für drei Anzüge und eine Waschschüssel. Alexander Kluge spricht gern von der „Wagenburg der Subjektivität“ und mit Das neue Alphabet fahren in kleinen Erzähleinheiten Lebensgeschichten auf, werden Anekdoten ausgebreitet, werden überraschende Verbindungen geknüpft, die in ihrer Gesamtheit – fein einander ablösend die Tragödie und die Komödie – ein ungemein scharfes Bild von einem bestimmten Thema, von einem bestimmten Zeitpunkt vermitteln können: als unsere Welt im Zuge der Digitalisierung aller Lebensbereiche wieder einmal eine andere werden musste. Doch für Kluge gibt es kein Müssen: Wieder und wieder wird eine letztlich poetische Kraft beschworen, die der „Geisterwelt der objektiven Tatsachen“ etwas Uraltes, etwas zutiefst Menschliches entgegenzusetzen hat, eine Widerständigkeit des Erzählens – die uns temporär Schutz bieten kann vor den Algorithmen, mit denen Silicon Valley uns zu sehen und erkennen meint. Wir ahnen mit Kluge die insektenkalte KI dort draußen hinter dem Bildschirm, und schmutzen und rotzen und furzen und husten, was unsere Zellen hergeben, die eben nicht von elektrischen Schafen träumen, sondern von einer 37° warmen Urmeersuppe. Wir vertrauen mit ihm auf die Milliarden Jahre, die es gedauert hat, bis wir wurden, was wir sind, auf die Erfahrung unserer Körperzellen und unserer Seelen; wir halluzinieren Engel und mikroskopische Astronauten. Wir sehen Schnee brennen und Feuer gefrieren. Und wir finden in Alexander Kluge einen tröstenden Liebhaber und Freund, der selbst seit geraumer Zeit die Hand ausstreckt nach Kooperationspartnern wie Gerhard Richter, Ben Lerner, Thomas Demand, Anna Viebrock, Georg Baselitz, Reinhard Jirgl, Helge Schneider: die Kavallerie, sie ist unterwegs.
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Alexander Kluge: Das neue Alphabet (2 Teile)


Mit Alexander Kluge, Katja Bürkle, Helga Fellerer, Pascal Fligg, Peter Fricke, Sabine Giezelt, Stefan Merki sowie Prof. Dr. Karl Grötzinger, Heiner Müller, Helge Schneider, Lilith Stangenberg, Thomas Combrink, Prof. Dr. Friedemann Schrenk, Sophie Kluge

Komposition: Jeb Loy Nichols/Antye Greie/Nicholas Desamory
Bearbeitung und Realisation: Karl Bruckmaier
BR 2019

 

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