Aus dem Archiv: Das Entscheidungsjahr 1989

Bilderchronik und Musikmagazin

Zu einem Zeitpunkt, in der sich die Jahresrückblicke häufen, lohnt es sich auf ein Jahr zurückzublicken, das wichtiger war, als unser Jahr 1992. Tatsächlich ist 1989 eines der merkwürdigsten Jahre unseres Jahrhunderts: 200 Jahre liegen zwischen 1789 und 1989: Feiern zur Französischen Revolution. Aber unmittelbar vor diesen Feiern: Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Dann überstürzten sich im Herbst die Ereignisse in Prag, in Leipzig, in der Hauptstadt der DDR. Noch gibt es die Supermächte: Zu Nikolaus versuchen im Seesturm vor Malta die Präsidenten der USA und der UdSSR das Geschehen in den Griff zu Bekommen. Es ist ein Jahr, das allen Beteiligten über den Kopf wuchs. Wer 1989 geboren wurde, ist jetzt 3 Jahre alt. Mit Musiker der Gruppen: „First things first“, „Paradise lost“, „Techno-Animal“.

► Das Entscheidungsjahr 1989 (News & Stories vom 14.12.1992)


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► So viel Anfang war nie

Der Dezember 1989 gilt als Wende in der Wende. Bis dahin stand nicht fest, ob es eine deutsche Wiedervereinigung oder zwei getrennte deutsche Staaten geben wird. Der Dezember 1989 ist der unbekannte Monat. Der Dokumentarist Thomas Heise, der damals gleichzeitig mit Heiner Müller an einem Berliner Theater arbeitete, filmte in dieser Zeit im Umkreis der Hauptstadt der DDR. Ihm gelangen unglaublich authentische Momentaufnahmen.


► Im Zentrum des Orkans weiß keiner was

Walter Momper, geboren 1945, befand sich im November 1989 als Regierender Bürgermeister von West-Berlin in unmittelbar verantwortlicher Position. Er ist Politiker, aber zugleich ist er auch Historiker. Mit beiden Richtungen seines Interesses hat er das Geschehen seinerzeit aus der Nähe beobachtet. Was ging in den Köpfen der Beteiligten vor während des Ereignisses? War es so, dass diejenigen, die sich im Zentrum des Orkans befanden, am allerwenigsten wußten, weil sie für Beobachtungen die geringste Zeit hatten?


► Baustelle Revolution

Die Worte Revolution und Evolution bezeichnen die beiden Antipoden der Veränderung. Evolution ist das Gesetz des Lebendigen. Sie plant nicht. Evolution bastelt. Sie braucht gewaltige Mengen an Zeit. In dieser Weise schafft sie lang andauernde und riesenhafte Veränderungen. Der Revolution entspricht „umgekehrt“ der abrupte Bruch, die Kategorie der Plötzlichkeit. Revolutionär beginnt eine neue Zeit. In unserem Jahr 2017 gibt es den 100. Jahrestag zum Februar und Oktober 1917, den beiden russischen Revolutionen. 50 Jahre sind es seit dem Sommer 1967, aus dem die Protestbewegungen in Berlin, Frankfurt, Paris und Berkeley hervorgingen. Die Wende von 1989 ereignet sich zeitgleich mit der grausamen Niederschlagung der Rebellion auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und zugleich im Jubiläumsjahr von 200 Jahren der Großen Französischen Revolution. Der Arabische Frühling führte – erschreckend und enttäuschend – zum Elend von Aleppo. Alle Revolutionen hatten bisher einen unverwechselbaren Charakter. Ihre Erfahrungen sind unaufgearbeitet. Christoph Menke, Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main, Repräsentant der 3. Generation der Frankfurter Kritischen Theorie und Fellow im Wissenschaftskolleg zu Berlin zum Thema „Baustelle Revolution“. Es geht um einen archäologischen Grabungsort (für Ruinen aber auch für Neubau). Bisher hat keine Revolution ihre Versprechungen gehalten und dennoch sind Revolutionen die einzige radikale (d.h. die Wurzeln ergreifende) „Kunst des Neuanfangs“. Wie lernt man das „Anfangen anzufangen und fortzusetzen“? Die historische Erfahrung sagt: „Die Revolution beginnt erst am Tag nach der Revolution“, wenn der Zorn durch Dauerhaftigkeit und Arbeit ersetzt werden muss.


► Die Zeitung als „Eisenbahn des Geistes“

Der Jahreswechsel von 1799 auf 1800 wurde als Jahrhundertwende empfunden, obwohl offiziell das Jahrhundert erst mit dem Jahr 1801 begann. Sylvester 1799 ist Napoleon erst 6 Wochen im Amt. Von der Klassik in Weimar geht über ganz Europa eine starke Meinungsmacht aus. Industrie und Welthandel blühen. Die Französische Revolution hat die Fantasien der Menschen angestoßen, dass sich die Verhältnisse verändern. Es handelt sich um eine Zeitenwende. Sie ist gekennzeichnet durch Mobilisierung und eine plötzliche Beschleunigung aller Dinge. Dr. Lothar Müller, Redakteur im Feuilleton der SZ, ist besonderer Experte für diese Zeit. Es entsteht nämlich der Begriff der „Jetztzeit“ und „Aktualität“, sagt er. Den Taktschlag dafür geben die Zeitungen, die die neue Öffentlichkeit prägen. Die Zeitungen, sagt Lothar Müller, entsprechen für den Zeitgeist dem, was wenig später die Eisenbahnen für die Vernetzung sein werden. „Die Zeitung als Eisenbahn des Geistes“.


► Der Lichtfresser

Die Filmgeschichte ist jung. Sie ist nicht viel älter als 120 Jahre alt. Ihr elementares Gerät ist die Filmkamera. Zwei Filmpioniere und deren Konstrukteure und Ingenieure (nach ihnen ist die Firma Arnold & Richter benannt), August Arnold und Robert Richter, entwickelten in den 30er Jahren eine Kamera, die in ihrer Robustheit, Beweglichkeit und ihrem technischen Raffinement einzigartig ist: die Arriflex. Mit ihr gelang der Filmgeschichte der Ausbruch aus dem Atelier und die Filmaufnahme in der Wirklichkeit, die vor allem für den Autorenfilm in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bahnbrechend war. Diese Spiegelreflex-Kamera beruht auf einem Mechanismus, bei dem ein 48stel Sekunde das Negativ (und heute der digitale Träger) belichtet wird, während ein 48stel Sekunde, in der Transportphase des Filmstreifens, das Bild für den Kameramann sichtbar macht. Es ist also im Kino und bei der Filmaufnahme stets die Hälfte der Zeit dunkel und die andere Hälfte der Zeit ist es hell. Das erlaubt es dem menschlichen Gehirn, im Kino „zu träumen“. Der Kamerakonstrukteur und Consultant der Firma Arnold & Richter, Thomas J. Popp, hat über Jahrzehnte die innovative Arbeit der Arriflex-Kamera begleitet. Die klassische Arriflex-35mm von 1935 wird heute fortgesetzt durch die Alexa-Digitalkamera, die ebenfalls in der Welt eine Alleinstellung besitzt. Der Weg führt von den Erfindern der Filmkamera, den Brüdern Lumière, über die Debrie-Kamera der 20er Jahre bis zur klassischen Arriflex und der heutigen Alexa. Es ist ein Weg der Filmgeschichte in die heutige multimediale Welt.