Neu im Catch-up Service: Welche Farbe hat die Arbeit?


Joseph Vogl: „In der Arbeit werde ich niemals mit nichts fertig“
Mit der Großen Maschinerie und der Industrialisierung in Europa, verbunden mit der in Fabriken konzentrierten Arbeit, entstand im 19. Und 20. Jahrhundert auch ein Produzentenstolz und ein kämpferisches Selbstbewusstsein. Für die Fahnen in den Kämpfen der Arbeiter galt lange die Farbe Rot. Joseph Vogl, antwortet auf die Frage, welche Farbe für ihn die Arbeit hat: Grau.
Die Zukünfte und das Geld glitzern. Die Arbeit dagegen steckt in der jeweiligen Gegenwart fest. Lebenswelt und Arbeit sind miteinander verschränkt, die Idee „der Mensch ist flexibel“ ist eine Illusion.
Die digitale Revolution und zeitgleich die Auswanderung der Arbeit in die Regionen, in denen sie billig ist, verändert die klassische Industrie und alle Formen der Arbeit. Diese Abhängigkeit gilt nicht gleicherweise für das Kapital. Es kann ausweichen in seine vergangenen Formen, nach Übersee und es vermag die Zukunft zu beleihen. Das Kapital ist ein Chamäleon.
Joseph Vogl schrieb das aufsehenerregende Buch „Das Gespenst des Kapitals“. Wie stark die Zukunft der Arbeit, ja die ganze Subjektivität der Menschen und ihre Lebenswelt, abhängig sind von der Zukunft, die sich das Kapital sucht, hört sich an wie ein faszinierender Roman und ist zugleich lebenswichtig für unsere Orientierung. „Nichts entmutigt so sehr, als ein Spiel nicht zu überschauen, von dem das Leben abhängt.“
Begegnung mit Prof. Dr. Joseph Vogl, Autor und Hochschullehrer an der Humboldt Universität Berlin.
► Welche Farbe hat die Arbeit? (News & Stories, Sendung vom 18.04.2017)


Sehen Sie dazu auch auf dctp.tv:

► Das Prinzip Kapitalismus (Podiumsdiskussion)
Mit der Globalisierungs-Expertin Saskia Sassen und dem Kulturwissenschaftler Joseph Vogl. Moderation: Bernd M. Scherer, Direktor des HKW, und Alexander Kluge.


► Keinen Plan zu haben ist der Plan
Das Stichwort heißt: Disruption. Konkurrenz hat es immer gegeben. Man kennt auch das Wort des Ökonomen Joseph Schumpeter von der „schöpferischen Zerstörung“, mit der der Kapitalismus die Industrien mitsamt Menschen in die Zukunft reißt. Völlig neu jedoch und Charakteristik der digitalen Welt ist die Abwertung ganzer Märkte und Produktionsstile in kurzer Zeit durch angreifende Start-Ups und die neuen Intelligenzzentren im Westen der USA, die wir derzeit beobachten. Wie antwortet man darauf als europäischer Patriot?
Christoph Keese hat schon in seinem Buch SILICON VALLEY zu dieser Frage Akzente gesetzt. In seinem neuen Buch SILICON GERMANY geht es darum, wie wir, mit den Mitteln unseres Landes, auf die Herausforderung der Disruption antworten, einem Angriff, der klassische Hierarchien so zügig aus dem Weg schafft, wie einst die Dinosaurier aus der Welt verschwanden.
Keeses Analyse ist nirgends schwarzseherisch. Sie geht aus von gründlicher Kenntnis der Chancen, welche die künstliche Intelligenz und die Algorithmen besitzen. Wenn uns nichts Besseres einfällt, sagt er, müssen wir in kannibalische Disruptoren unsererseits investieren. Wir können aber auch durch Kooperation, das was wir haben, und was die Angreifer nicht haben, zusammenlegen: ökonomisch und bei der Gestaltung einer selbstbewussten Öffentlichkeit.
Im Zentrum von Christoph Keeses Überlegungen steht die Metapher von David und Goliath. In jenem biblischen Zweikampf stand ein schwer gepanzerter Riese, Goliath, nach allen klassischen Gesichtspunkten überlegen, dem winzigen David gegenüber. David, der Fernkämpfer, aber schoss dem Riesen in den Kopf, ehe der den Angriff überhaupt bemerkt hatte. Der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewährte rheinische Kapitalismus beruhte auf einem Vertrauen in soliden Maschinenbau, in ingenieursmäßige Perfektion und auf möglichst klaren Entscheidungen in der Unternehmensspitze: ein gut gerüsteter Goliath. Wir leben in einem Ernstfall, in dem diese Zurüstüng allein nicht genügt. Ist es möglich, fragt Christoph Keese, einen Goliath zu zerlegen und „innovativ zu davidisieren“?
Begegnung mit Christoph Keese


► Unbekanntes vom INTERNET DER DINGE
Die Physik gründet sich auf die Natur. Die Ingenieure der herkömmlichen Industrie, die sich auf solche Physik stützen, bauen Maschinen. Die Informatik besitzt keine vergleichbare Grundlage. Ihre Basis ist die Logik. Die kann man nicht anfassen.
In unserer Zeit stoßen diese beiden Welten mit Energie aufeinander. Die interessantesten Probleme unserer Zeit sind die, die an der Nahtstelle zwischen Physik und Informatik zu unserer Überraschung immer neu auftreten. Ein ganzes Konzentrat solcher offenen Fragen bezieht sich auf das INTERNET DER DINGE: Fabriken, Informationssysteme, Robotik, aber auch die hochinformativen Wechselwirkungen zwischen Menschen und Netzwerken beginnen sich selbst zu organisieren. Das hat zwei Seiten.
Der führende Informatiker Manfred Broy ist Mitglied des Board of Directors des Center for Digital Technology and Management (CDTM), eine gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung von TU München und LMU München. Er führt ein in die spannende Begriffswelt des Internets der Dinge, die sich auf unsere Lebenswelt so konkret auszuwirken beginnt.


► Mensch 4.0
Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft, die Ökonomie und darin sowohl die Produktion wie den Konsum. Man nennt das die Vierte Industrielle Revolution. Von der Dampfmaschine und der Ersten Industriellen Revolution her gesehen, gewiss ein Umbruch.
Diese Umwälzung bringt auch Veränderungen im Inneren der Menschen hervor: den Mensch 4.0. Der Soziologe Dirk Baecker zeigt aber, dass dabei, zumindest auf dieser subjektiven Seite, der des Menschen und seiner Kommunikation, alle früheren Stufen der Entwicklung erhalten bleiben: „Zur Gegenwart gehören alle Zeiten“.
Dirk Baecker unterscheidet dabei vier Stufen:
1. Die Stammesgesellschaft, hier gilt das „Prinzip Mündlichkeit“. Kinder wachsen heute noch immer so auf.
2. Die Welt der Antike, hier setzte sich das „Prinzip Schriftlichkeit“ durch. „Was gilt, muss zu lesen sein“.
3. Die Welt der Renaissance. Die Massenproduktion an Druckerzeugnissen von Gutenberg gehört in diese Epoche.
4. Die Digitalisierung. Sie prägt unsere Gegenwart, aber sie kann keine der früheren Stufen entbehren.
Digitalisierung und die sogenannte Disruption zerstört ganze Märkte und Wirklichkeiten und sie bringt neue hervor. Starke Auswirkungen hat sie auf die Zukunft der Arbeit. Aus dem Bild traditioneller Berufe rückt, zumindest in den Industrieländern, die Arbeit heraus. Sie wird projektbezogen, entfesselt und in die Wüste der Flexibilisierung entlassen. Sie verändert auch die Stellung der Chefs. Sie werden von klassischen Entscheidern zu „Ermöglichern“, die in der Pyramide keine Spitze mehr bilden, sondern die Türme der Arbeit umkreisen. Wo finden dann die Entscheidungen statt? Bisher haben nur Demagogen (falsche) Antworten auf diese Fragen.
Auch in der Vergangenheit konnte Arbeit zerstörerisch (z.B. im Krieg und in Schumpeters „Schöpferischer Zerstörung“) oder produktiv sein (in der Entwicklung immer neuer Technologien). Heute wird der menschliche Wille (und damit auch große Teile des „guten Willens“) von der Arbeit und der Realität abgekoppelt. Das ist für den Mensch 4.0 verwirrend. Es ist aber beruhigend, wenn Dirk Baecker, der bedeutendste Vertreter aus der soziologischen Schule von Niklas Luhman, mit guten Beispielen darauf hinweist, dass alle übrigen Zeiten (und ihre seelischen Strukturen) in unserer Gegenwart mitwirken. Nur in der Renaissance gibt es ähnlich viele Wirklichkeiten, die bei der Herstellung von Gegenwart miteinander ringen.