Prof. Dr. Anuschka Tischer: mit welchen Texten beginnt „höfliche Gewalt“ in der Neuzeit?
Japan überfiel Pearl Harbour (und zuvor die Russen in Port Arthur) ohne Kriegserklärung. Auch Präsident George W. Bush erklärte Saddam Hussein vor der Bombardierung Bagdads nicht den Krieg. Das war in den Standesgesellschaften und Monarchien des Mittelalters und der Neuzeit anders. Es gehörte zum Standing und zur Ehre eine Fürsten, „den Krieg zu erklären“ und ihn durch „Manifeste der Gewalt“ höflich zu begründen.
Die Historikerin Anuschka Tischer, Universität Würzburg, hat die Formenwelt der Kriegserklärungen und Kriegsbegründungen in der Zeit von 1500 bis 1850 untersucht. Nichts ist so aufschlussreich wie die Reden und Schriften vor Ausbruch und während der Ausübung von Gewalt.
► Das Ballett der Kriegsgründe (10 vor 11, Sendung vom 30.11.2015)
Literaturempfehlung
Anuschka Tischer: Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit
Die gesamte Frühe Neuzeit hindurch wurden Kriege in Europa in gedruckten Kriegserklärungen und Manifesten offiziell legitimiert. Diese Kriegsbegründungen werden hier erstmals systematisch erfasst, verzeichnet und analysiert. Sie geben Auskunft über gemeinsame Werte, unterschiedliche Ordnungsvorstellungen und deren Wandel. Dabei zeigt sich auch, wie Völkerrecht interpretiert wurde und völkerrechtliche Prinzipien sich im Zusammenspiel von Krieg und politischer Kommunikation bewährten oder herausbildeten. Kriegsbegründungen dienten der Durchdringung von Herrschaftsräumen ebenso wie der Kommunikation zwischen Herrschaftsräumen. In ihnen ist der Antagonismus zwischen Souveränität und übergeordneten Gemeinschaftsprinzipien erkennbar, der das politische Europa, das internationale Staatensystem und das universale Völkerrecht von Anfang an bestimmte.
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► Formenwelt der Kaisermacht
Die Form des höfischen Umgangs und die Formulierung der Urkunden entsprechen dem Selbstverständnis und dem hohen Rang der hochmittelalterlichen Herrscher.
Der Historiker PD Dr. Olaf Rader zeigt die große Zahl abgestufter Unterschiede im Umgang des Kaisers mit seiner Welt.
► Kriege ohne Grund
Der Historiker Jörg Friedrich spricht von einem 30-jährigen Krieg (genau genommen sind es 31 Jahre), der mit dem 1. August 1914 beginnt und erst im Mai 1945 endet. Keine der beteiligten Nationen hatte objektiv ein Interesse, so Jörg Friedrich, an einem globalen Krieg oder einem Krieg im Westen.
Die einzigen nicht auf Einbildung oder vorgefassten Plänen beruhende Konflikte lagen im Südosten, auf dem Balkan. Für einen Krieg im Westen, sagt Jörg Friedrich, gab es keinen Grund, für einen Krieg im Osten, gab es keinen Plan.
► Vom Gegner lernen
Rivalität und Krieg sind so ernste Herausforderungen, dass Nationen, die einander als Feinde betrachten, ohne es zu wollen, vom Gegner lernen. So lernen z.B. die Deutschen aus den Niederlagen, die ihnen Napoleon zufügte, die Element der Französischen Revolution nachträglich kennen, ohne selber zu revolutionieren.
Russland hat Frankreich 1812 besiegt, aber in allen russischen Salons wird Französisch gesprochen.
Auch im 20. Jahrhundert wird vom Gegner gelernt. So übernimmt die junge Sowjetunion den Taylorismus und die industrielle Massenfabrikation vom kapitalistischen Gegner USA. Und so gibt es innerhalb des New Deal Roosevelts einen freiwilligen Arbeitseinsatz, die „ccc boys“, die ganz ähnlich aussehen wie der nationalsozialistische Reichsarbeitsdienst. Das Lernen erfolgt hier aber partiell, ohne dass der Faschismus übernommen wird.
Wie Menschen lernen (und dass sie nicht sicher entscheiden können, von wem sie lernen) gehört zu den interessantesten Themen der Theorie. Darüber berichtet Prof. Dr. Martin Aust (LMU), Herausgeber des Bandes VOM GEGNER LERNEN. Diesen Zusammenhang ergänzt er durch ein Darstellung der vier grundlegenden Arten menschlichen Lernens.