Entweder hat Christoph Schlingensief nie gelebt, oder er ist nicht tot. „Erlöst die Nachrichten von der menschlichen Gleichgültigkeit!“ Einer der großen Charakterdarsteller des Neuen Deutschen Films ist Alfred Edel. Er hat in meinen Filmen gespielt (z.B. in „Abschied von gestern“) und in denen von Christoph Schlingensief (z.B. „Das deutsche Kettensägenmassaker“). Bei der Beerdigung von Alfred Edel traf ich Christoph Schlingensief erstmals. Jeder von uns hielt eine der Reden. Wenn wir später stritten, war Alfred Edel unser Schiedsrichter. Die Toten sind nämlich nicht tot. Mit diesem Gedanken tröste ich mich über den Tod meines Freundes Christoph. Mit seiner Frau Aino, die wie Beethovens Leonore (buchstäblich bis zur letzten Minute) um sein Leben gekämpft hat, ihn aus dem Kerker bis zuletzt befreien wollte, teile ich die Meinung, dass er uns zusieht, was wir jetzt machen. In seinem Auftrag bohren wir weiter. Die Druckverhältnisse in 5.500 m Wassertiefe sind längst nicht erforscht. In Friedrich Rückerts „Kindertotenliedern“ trauern die nicht gestorbenen Kinder über die gestorbenen Geschwister. Es heißt dort: „Da singt die ganze Kinderschar / sie sind nicht tot / das ist nicht wahr!“
Warum soll ich etwas anderes für wahr halten? Christoph Schlingensief ist, wie man in den hier gezeigten Dialogen sieht (und davon gibt es etwa 40), immer noch sehr lebendig. Alexander Kluge
► Christoph Schlingensief (16 Filme)
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Eine Saturn-Pluto-Konstallition gefährdete kurzfristig den Theater – und Filmemacher Christoph Schlingensief. Dreimal entrann er einer höchst gefährlichen Situation. „Mitten im Leben sind wir von dem Tod umfangen“. Der Theateraktivist Schlingensief berichtet von seinen Eindrücken.
► Ich bin in 1. Linie Filmemacher
Christoph Schlingensiefs künstlerische Installation im Museum der Moderne in Salzburg mit dem Titel „Hodenpark“ erregte die Gemüter. In Bayreuth inszenierte der Künstler zum dritten Mal Wagners PARSIFAL. Im Kern aber ist Schlingensief, wie er selbst sagt, Filmemacher. Jetzt wurde der radikale Meister nach New York eingeladen, ins Museum of Modern Art. Begegnung mit Christoph Schlingensief.
Als Remake eines berühmten deutschen Films, hat Christoph Schlingensief eine Schicksalstragödie um Liebe, Leben, Krankheit und Tod geschaffen. Helge Schneider in der Rolle des „bösen Bruders“; eine von einer Tropenkrankheit gezeichnete junge Frau, Pferdeliebhaberin, ihr Name kann wie Els oder wie Aids ausgesprochen werden, liebt bis zu ihrem Tod einen jungen Mann: Willi, den Bruder des „bösen Bruders“. Hauptperson aber ist die Mutter dieser Brüder. Sie trug auf einem Karneval eine Maske. Der turbulente Film trägt daher den Namen: „Mutters Maske“. Alle handelnden Personen, einschließlich der Pferde, bewegt ein ähnliches Motiv: Gier nach Leben. Ein spannendes und unterhaltendes Filmmagazin mit Helge Schneider und von Christoph Schlingensief.
Wir treffen Christoph Schlingensief inmitten der Dreharbeiten zu seinem Projekt U-3000. Die Anstrengung hat ihn erschöpft. Eine gute Atmosphäre für ein Gespräch. Oft wird in der Öffentlichkeit, sagt Christoph Schlingensief, nach Bomben gesucht, die Terroristen versteckt haben. Vielleicht aber, fragt Schlingensief, ist der Mensch selbst eine Bombe? Die Show U-3000 von Christoph Schlingensief findet in einer fahrenden U-Bahn statt. Von Endstation zu Endstation. Ein ruhiges Gespräch mit Christoph Schlingensief in einem Augenblick geglückter Erschöpfung. Unterhaltend und metropolitan.
► „Plötzlich bemerkte ich das Hundegesicht meiner besten Freundin“
„Schlacht um Europa – Ufo 97“, „die 120 tage von Bottrop“, „Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“, „100 Jahre CDU“ „Das Deutsche Kettensägen-Massaker“, „Terror 2000“ und viele anderen Titel kennzeichnen die Leistungskraft von Christoph Schlingensief. Seine Revuen publiziert er in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Schlingensiefs kämpferischer Geist konzentriert sich auf Europa, den Standort Mülheim im Ruhrgebiet (von dorther stammt er) und auf die Zukunft des Trashs. In einem entscheidenden Moment seines Lebens hatte er eine Vision: „Plötzlich sah ich, dass meine beste Freundin ein Hundegesicht hatte…“.
Am 20. August startet „SCHLINGENSIEF – In das Schweigen hineinschreien“ im Kino.
SCHLINGENSIEF – IN DAS SCHWEIGEN HINEINSCHREIEN von Bettina Böhler unternimmt als erster Film den Versuch, den Ausnahmekünstler Schlingensief, der 2010 im Alter von nur 49 Jahren verstarb, in seiner ganzen Bandbreite zu dokumentieren.
Im Fokus steht hier der „Familienmensch“ (Schlingensief über Schlingensief), der in seinen Arbeiten gleichermaßen das Verhältnis zu den Eltern in Oberhausen und das Verhältnis zu Deutschland thematisiert hat. SCHLINGENSIEF – IN DAS SCHWEIGEN HINEINSCHREIEN durchlebt die ganze Entwicklung Schlingensiefs, vom quasi pubertierenden Filmemacher im Kunstblutrausch, über den Bühnenrevoluzzer von Berlin und Bayreuth, bis hin zum vermeintlichen, allseits geehrten Staatskünstler, der kurz vor seinem Tod die Einladung erhält, den Deutschen Pavillon in Venedig zu gestalten. Zwischen verwursteten Ossis DAS DEUTSCHE KETTENSÄGENMASSAKER, „Tötet Helmut Kohl“ (documenta X) und dem Versuch, Wagner zu retten (PARSIFAL), wird SCHLINGENSIEF – IN DAS SCHWEIGEN HINEINSCHREIEN zum Ausdruck einer unermüdlichen und eigentlich unerschöpflichen Hassliebe zu Deutschland, seiner Hochkultur und seinem Kleinbürgertum, in dem Schlingensief zuallererst immer sich selbst verortet hat.
(Bettina Böhler, D 2020, 124 min)