Karen Radner: Die Erfindung der urbanen Lebensweise im Orient
Unsere heutige europäische Zivilisation hat ihre Wurzeln im Morgenland: In der Erfindung der Stadt und der urbanen Lebensweise in dem Land zwischen Euphrat und Tigris. Auf die Stadtgründung von Uruk und den daraus entstehendem Reich folgte das Reich Assur. Die neueste Forschung, vor allem auch die von Prof. Dr. Karen Radner, zeigt die Metamorphosen dieses mächtigen Gesellschaftssystems. Man muss sich Assur zunächst als ein Kolonien bildendes, kaufmännisch dominiertes Gemeinwesen vorstellen, ähnlich der späteren Republik Venedig. Danach entwickelten sich in Assur eine Kriegerkaste und die Kriegstechnik der Streitwagen. Assur dehnte seine Herrschaft über den ganzen damals bekannten Weltkreis bis nach Ägypten aus. Nach einer überlangen Herrschaft eines mittelmäßigen Herrschers folgte dann ein Kindkönig. Usurpatoren traten auf, Bürgerkrieg zermürbte das Reich. So kam es zu einem in Wahrheit allmählichen, für unseren historischen Fernblick aber „plötzlichen“ Sturz des großen Räubers Assur.
Die Inhaberin des Humboldt-Lehrstuhls an der Ludwig-Maximilian-Universität, Prof. Dr. Karen Radner, berichtet lebendig und aus eigener Kenntnis als Ausgräberin von diesen dramatischen Phasen der Geschichte der frühen Menschheit, der wir Buchhaltung, Religion, Astronomie, Gesetzgebung, große Epen wie den Gilgamesch verdanken, nicht nur Krieg. Das alles geschah auf dem Boden des heutigen Irak und Syriens.
► Der Große Räuber Assur (10 vor 11, Sendung vom 30.10.2017)
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► Die Entstehung der Zivilisation
Dass sich einander fremde Menschen auf engem Raum vertragen, gilt als Anfang der Zivilisation: 26 Sequenzen skizzieren das Prinzip Stadt von den in den ältesten Mythen mit dem Paradies verglichenen Megastädten Uruk und Babylon über den Terror von Aššur bis zur „Stadt in uns“.
► Raubstaat Assur
Zwischen 1414 und 609 vor Christus herrschte das Regime von Assur vom Euphrat bis zum Nil und lebte von seiner Beute. Das waren schöne und kluge Leute, aber besessen von Gier: „gelehrte Räuber“. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht (sie waren gerade dabei, das 100-jährige Theben weit im Süden Ägyptens zu erobern), brach binnen drei Jahren das Großreich zusammen. Raubstaaten haben kein ewiges Leben.
Die Alt-Orientalistin Prof. Dr. Eva Cancik-Kirschbaum, Freie Universität Berlin, ist Spezialistin für das Reich von Assur.
► Städte, die vom Himmel fielen
Die Sumerer existierten von 3.200 bis etwa 2.000 vor Christus. Man weiß nicht, ob die Erfindung der Keilschrift auf sie zurückgeht oder später erfolgte. In jedem Fall prägten sie die Kultur der ersten Zivilisationen in Mesopotamien. In dieser Zeit entstanden die ersten Mega-Städte, darunter Uruk, die damals größte Stadt der Welt. Reichtum und gesellschaftliche Differenzierung in diesen Städten weckten bei den Nachbarn Begehrlichkeiten. Die Militärmaschine Assur bildete ein großes Reich, das am Ende unterging.
Wie wurde Krieg geführt? Was bezeichnet die frühe Stadt? Wie sahen vermutlich die Menschen jener Zeit aus?
Der Altorientalist Dr. Ingo Schrakamp, Freie Universität Berlin, berichtet.
► Grabung nach den Anfängen der Zivilisation
Seit 1912 graben Archäologen in der Stadt Uruk, die der Zivilisation von Babylon noch vorausgeht. Jedoch ist Uruk so groß, dass bisher nur fünf Prozent der Stadt erforscht sind. Sicher ist bisher, dass hier die Schrift erfunden wurde, vielleicht auch das Rad und das Bier.
Um einen gesamten Überblick über die Stadt zu erhalten, bräuchten die Forscher 500 Jahre. Doch der Irakkrieg gefährdet die Fundstücke.