Neu im Catch-up Service: Storytelling


Uwe Walter: Was unterscheidet Erzählen von bloßer Information?
Seit die Menschen das Feuer erfanden, haben sie sich auch miteinander niedergesetzt und angefangen zu erzählen. Im Erzählen verbinden sich die Tatsachen und Realitäten mit den Gefühlen und Wünschen. Menschen tauschen dabei nicht nur Informationen aus, sondern verbringen miteinander ein Stück Lebenszeit.
Die Traditionen des Geschichtenerzählens sind uralt. Zu den Geheimnissen des Geschichtenerzählens zählt vor allem die sogenannte „Heldenreise“. Wie stieg die bewunderte Heldin oder der Held auf? Wie kam es zu seinem Sturz oder Tod? Was war mit den Gefährten, die sie schützten, warnten, ihnen den Rücken freihielten? Wohin überhaupt ging die Reise? Solche Geschichten erzählen nicht nur die Religionen und die Epen Homers. Sie sind vielmehr in jeder Gegenwart präsent. Die Filme von George Lukas bringen solche uralten und doch immer neuen Geschichten in einen „gefühlten Zusammenhang“.
Der Medienberater Uwe Walter liebt und beherrscht diese Kunst des Storytelling in hohem Maße. Sie gilt für Literatur, Wissenschaft, Alltag und Krisenzeiten gleicherweise. Unser menschliches Gehirn, sagt Uwe Walter, ist eine „aggressive Sinn-Such-Maschine“. Scheinbar lässt sie sich mit bloßer Information füttern. Dieses Gehirn steckt aber im Körper. Und der gehört dem ganzen Menschen. Und diesem geht es immer auch um ein „inneres Feuer“. Die Seele, das stellt Uwe Walter in den Mittelpunkt, ist nicht linear. „Die Seele sucht sich ihren Weg wie ein Fluss.“ Medien tun gut daran, wenn sie in ihrer Erzählung sich auf diese menschliche Bedingung einlassen.
Begegnung mit Uwe Walter. Spannend und informativ.
► Storytelling (10 vor 11, Sendung vom 18.09.2017)


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► Die Geschichte vom Zorn
Im ältesten Epos Europas, Homers ILIAS, geht es um den Zorn des Helden Achill. Beleidigt von Agamemnon, dem Heerführer der Griechen, zieht sich Achill in Stummheit zurück. Die Trojaner dringen unaufhaltsam vor bis zu den Schiffen der Griechen. Patroklos, der beste Freund Achills, lässt sich die Rüstung des Helden anlegen und rennt gegen die Trojaner an. Er ist aber kein Held wie Achill und muss sterben. Daraufhin wendet sich der Zorn des Achill lodernd gegen den trojanischen Helden Hektor, der Patroklos tötete. Als Hektor, bereits verwundet, um die Vereinbarung bittet, dass der Sieger den Besiegten als Leiche nicht schändet, antwortet Achill, dass sein Zorn keine Verhandlungen zulasse. Er gebraucht das Wort „Hund“ für Hektor. Er droht dem Unterlegenen damit, ihn wie ein Kannibale zu verschlingen.
Die ILIAS endet damit, dass der Vater des Hektor, König Priamos von Troja, bittflehend zu Achill kommt, um den Leichnam Hektors (den zuvor Achill hinter seinen Streitwagen gebunden und um die Stadt geschleift hat) Heim zu holen. Auf Vasenbildern ist die Szene in einer Weise dargestellt, die den Text Homers präzisiert. Achill tafelt. Ein großes Schlachtermesser in seiner Hand. Der tote Hektor liegt unter dem Tisch, dort wo sonst die Hunde liegen. Die grausame, kannibalische Haltung, die der helle Zorn Achill aufzwingt, tritt in den Bildern schärfer und zugleich anders als in den Versen des Epos vor das Auge des Betrachters.
An diesem und anderen Beispielen erläutert der Klassische Archäologe und Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin, Prof. Dr. Luca Giuliani, die besondere Ausdruckskraft antiker Bilder und ihre scharfe Reibung mit den Texten. Das Bild wird erst wahrhaft plastisch durch den Vergleich von Text und Bild und vor allem durch das Übereinanderlegen der verschiedenen Bilddarstellungen.


► Alle Realitäten, die wir schaffen, fangen im Kopf an!
AUSWANDERUNG und HEIMKEHR sind das Thema vieler Mythen. Wenn Menschen ihre Heimat verlassen, oft endgültig, hat das starke Gründe und ist ein emotional tiefes Erlebnis. Das neueste Filmprojekt von Edgar Reitz befasst sich mit der Auswanderung der Hunsrücker nach Süd-Brasilien im 19. Jahrhundert. Der Film wird den ganzen Weg aus dem Hunsrück zum Rhein, in die Niederlande, die Schiffspassage, die abenteuerliche Ansiedlung und die weiteren Schicksale der ausgewanderten Familien beschreiben. Die Motivsuche hat begonnen.
Ein Grundstrom im Werk von Edgar Reitz ist die Suche nach einer Erzählweise, die von den wirklichen Gefühlen der Menschen ausgeht und zugleich die Forderungen der Filmkunst erfüllt, wie sie in der 120 Jahre jungen Filmgeschichte angelegt ist. Gerade in unserer heutigen, von Stoff-Fülle und Überraschungen der Zeitgeschichte geprägten Welt, lohnt sich die Reflektion auf die Erzählformen des Films.
Begegnung mit Edgar Reitz.


► Was vom Tage bleibt
In den Zeitungen des 19. Jahrhunderts war das Feuilleton, das „Blättchen“, der Platz für den Fortsetzungsroman. Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde dieses Feuilleton in der Konkurrenz großer europäischer Tageszeitungen das Zeichen für besondere Qualität.
Dr. Thomas Steinfeld, Leitender Redakteur der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über Geschichte und Bedeutung des Feuilletons. Vor allem über die Notwendigkeit gegenüber der Aktualität die Erinnerung, die Erwartungshorizonte und die Grammatik menschlicher Erfahrung einzubringen. Ohne die übrigen Zeiten und den Möglichkeitssinn, wie ihn die Kultur, die Musik und die Feuilletons wach halten, bleibt die Gegenwart leer.
Gerade in einer Krise der Zeitungen kommt es darauf an, dass sie ihre Tugenden, über den Tag hinaus zu informieren, stabilisieren.


► Über das Schweigen
Vom Unterschied zwischen Pause und Stille. Was nicht sprechen kann, muss singen können oder schweigen. Geschwätzig dagegen sind die Dämonen. Klaus Reichert, Übersetzer und Autor, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, schreibt an einer GESCHICHTE DES SCHWEIGENS. In Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftskolleg, Berlin.


► Bevor der Mensch die Schrift erfand
Die frühesten Spuren unserer Vorfahren, die die Prähistoriker und Archäologen fanden, stammen aus der Zeit vor 7 Millionen Jahren. Eine gewaltige Zeitspanne reicht bis zur Erfindung der Schrift in den frühen Hochzivilisationen am Nil, in Mesopotamien, am Indus und in China. Wir aktuellen Menschen tragen diese Geschichte in uns. Wir sind „Kinder des Prometheus“. Auch wenn es sich um eine für uns schwer vorstellbare Zeitspanne handelt, findet die Entwicklung in markanten Sprüngen statt.
Einer dieser Sprünge ist gekennzeichnet durch die Erfindung des Feuers. Unsere Vorfahren konnten dadurch nicht nur Speisen für den Magen verträglicher machen, also kochen, sie durch Räuchern haltbar machen, sondern das Feuer erleuchtet erstmals die Nächte, um das Feuer herum beginnt das Erzählen. Die Höhlenmalereien werden später zu ersten Schüben der Hochkunst.
Die frühen Menschen gehen dazu über ihre Toten zu begraben, beschäftigen sich mit dem Jenseits. Es entstehen Versammlungsplätze für Ritualfeste. Kooperation und Gruppenbildung sind Errungenschaften, die später Sesshaftigkeit und kulturelle Komplexität nach sich ziehen. Erste Maschinen wie die Speerschleuder, kooperative Jagdpraktiken, Domestizierung von Tieren, z.B. des Ur-Hunds, der Schafe und des Rinds bilden Stationen.
Im gesamten Zeitraum ist die Entwicklung des Homo Sapiens, von dem wir abstammen, und der wiederum vom Homo Erectus sich ableitet, charakterisiert durch eine enge Verbindung zwischen Hand und Gehirn. Der aufrechte Gang setzte die Hände frei. Sie sind künftig dazu da, sich im Fluchtfall zärtlich in die Mutter einzukrallen, sie werden zur Arbeit tauglich: die Fingerspitzen sind so individuell wie das, was in den Köpfen der Menschen sich abspielt.
In der Sage vom Prometheus und dessen schusseligen Bruder Epimetheus berichten die Mythen davon, dass alle Tiere und Naturwesen spezielle Eigenschaften erhielten. Nur der Mensch wurde vergessen. Er wird geboren als Mängelwesen, ohne Raubtiergebiss, nackt und für den Überlebenskampf weniger geeignet als viele andere Tiere. Aus diesem Mangel heraus entwickelten sich seine Eigenschaften. Sie sind reich. Die Anker dieser Errungenschaften liegen weit zurück in den Zeiten, in denen es noch keine Schrift und somit keine Chroniken gab.
Prof. Dr. Hermann Parzinger hat in seinem Buch DIE KINDER DES PROMETHEUS diese lange Periode der menschlichen Evolution auf etwa 900 Seiten beschrieben. Ein Standardwerk. Hermann Parzinger ist zugleich Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, einer Behörde von 2.000 Mitarbeitern, die u.a. für das künftige Humboldt-Forum in der Mitte Berlins verantwortlich sein wird.
Begegnung mit Herrmann Parzinger, aber auch der fesselnden Geschichte unserer unmittelbaren Vorfahren.