Der Kapitalismus ist intelligent. Er findet immer wieder Auswege, oft dadurch, dass er auf frühere Epochen seiner Entwicklung zurückfällt. Eine Begabung fehlt ihm jedoch fast ganz: Übersicht und Selbststeuerung.
Der Ökonom Dr. Philipp Stab vom Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit (IGZA) in Berlin hält die 4.0-Welt von Silicon Valley für einen nur vorübergehenden Ausweg und Fortschritt gegenüber der Dauerkrise. Die neuen Ökonomien und die Algorithmen der digitalen Welt zielen wenig auf die Verbesserung der Produktion. Ihr Ziel ist vielmehr die Mobilisierung der letzten Zeitquanten und Wunschlisten im Konsumbereich. Hier aber entsteht eine machtvolle Gegenwirkung: man müsste Afrika viel Industrie geben, wenn Afrika im großen Maßstab Industriegüter kaufen soll. Aller Austausch beruht letztlich auf Gegenseitigkeit und dabei lässt sich das kostbarste ökonomische Gut, die Lebenszeit, nicht absolut vermehren. Das setzt, so Philipp Staab, der Algorithmenwelt und dem Internet der Dinge Grenzen.
► Zeit kaufen, wenn das Leben begrenzt ist (10vor11, Sendung vom 24.04.2017)
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► Welche Farbe hat die Arbeit?
Mit der Großen Maschinerie und der Industrialisierung in Europa, verbunden mit der in Fabriken konzentrierten Arbeit, entstand im 19. Und 20. Jahrhundert auch ein Produzentenstolz und ein kämpferisches Selbstbewusstsein. Für die Fahnen in den Kämpfen der Arbeiter galt lange die Farbe Rot. Joseph Vogl, antwortet auf die Frage, welche Farbe für ihn die Arbeit hat: Grau.
Die Zukünfte und das Geld glitzern. Die Arbeit dagegen steckt in der jeweiligen Gegenwart fest. Lebenswelt und Arbeit sind miteinander verschränkt, die Idee „der Mensch ist flexibel“ ist eine Illusion.
Die digitale Revolution und zeitgleich die Auswanderung der Arbeit in die Regionen, in denen sie billig ist, verändert die klassische Industrie und alle Formen der Arbeit. Diese Abhängigkeit gilt nicht gleicherweise für das Kapital. Es kann ausweichen in seine vergangenen Formen, nach Übersee und es vermag die Zukunft zu beleihen. Das Kapital ist ein Chamäleon.
Joseph Vogl schrieb das aufsehenerregende Buch „Das Gespenst des Kapitals“. Wie stark die Zukunft der Arbeit, ja die ganze Subjektivität der Menschen und ihre Lebenswelt, abhängig sind von der Zukunft, die sich das Kapital sucht, hört sich an wie ein faszinierender Roman und ist zugleich lebenswichtig für unsere Orientierung. „Nichts entmutigt so sehr, als ein Spiel nicht zu überschauen, von dem das Leben abhängt.“
Begegnung mit Prof. Dr. Joseph Vogl, Autor und Hochschullehrer an der Humboldt Universität Berlin.
► Mensch 4.0
Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft, die Ökonomie und darin sowohl die Produktion wie den Konsum. Man nennt das die Vierte Industrielle Revolution. Von der Dampfmaschine und der Ersten Industriellen Revolution her gesehen, gewiss ein Umbruch.
Diese Umwälzung bringt auch Veränderungen im Inneren der Menschen hervor: den Mensch 4.0. Der Soziologe Dirk Baecker zeigt aber, dass dabei, zumindest auf dieser subjektiven Seite, der des Menschen und seiner Kommunikation, alle früheren Stufen der Entwicklung erhalten bleiben: „Zur Gegenwart gehören alle Zeiten“.
Dirk Baecker unterscheidet dabei vier Stufen:
1. Die Stammesgesellschaft, hier gilt das „Prinzip Mündlichkeit“. Kinder wachsen heute noch immer so auf.
2. Die Welt der Antike, hier setzte sich das „Prinzip Schriftlichkeit“ durch. „Was gilt, muss zu lesen sein“.
3. Die Welt der Renaissance. Die Massenproduktion an Druckerzeugnissen von Gutenberg gehört in diese Epoche.
4. Die Digitalisierung. Sie prägt unsere Gegenwart, aber sie kann keine der früheren Stufen entbehren.
Digitalisierung und die sogenannte Disruption zerstört ganze Märkte und Wirklichkeiten und sie bringt neue hervor. Starke Auswirkungen hat sie auf die Zukunft der Arbeit. Aus dem Bild traditioneller Berufe rückt, zumindest in den Industrieländern, die Arbeit heraus. Sie wird projektbezogen, entfesselt und in die Wüste der Flexibilisierung entlassen. Sie verändert auch die Stellung der Chefs. Sie werden von klassischen Entscheidern zu „Ermöglichern“, die in der Pyramide keine Spitze mehr bilden, sondern die Türme der Arbeit umkreisen. Wo finden dann die Entscheidungen statt? Bisher haben nur Demagogen (falsche) Antworten auf diese Fragen.
Auch in der Vergangenheit konnte Arbeit zerstörerisch (z.B. im Krieg und in Schumpeters „Schöpferischer Zerstörung“) oder produktiv sein (in der Entwicklung immer neuer Technologien). Heute wird der menschliche Wille (und damit auch große Teile des „guten Willens“) von der Arbeit und der Realität abgekoppelt. Das ist für den Mensch 4.0 verwirrend. Es ist aber beruhigend, wenn Dirk Baecker, der bedeutendste Vertreter aus der soziologischen Schule von Niklas Luhman, mit guten Beispielen darauf hinweist, dass alle übrigen Zeiten (und ihre seelischen Strukturen) in unserer Gegenwart mitwirken. Nur in der Renaissance gibt es ähnlich viele Wirklichkeiten, die bei der Herstellung von Gegenwart miteinander ringen.
► Ich kann nicht streiken, wenn mein Arbeitsplatz zuhause ist
Durch Globalisierung und Digitalisierung hat sich in Europa die klassische Struktur der Betriebsarbeit nachhaltig verändert. Prof. Dr. Kocka, der als Historiker zu der Bielefelder Schule gehört, welche an die legendäre französische Schule der Annalen anknüpft, stellt diesen Wandel in einen Zusammenhang, bei dem man erkennt, dass in unserer Welt neben der digitalen Neuerung alle früheren Formen der Arbeit (bis hin zur Sklaverei) nebeneinander koexistieren. Vor allem auf der subjektiven Seite der Menschen bleiben wesentliche Merkmale der Arbeit „unbezahlt“ und „klassisch“. Stark verändert haben sich Ort und Zeit, in der die Arbeit stattfindet. Bei der Entstehung der Industriearbeit war die örtliche Nähe in den Fabriken und die physische Übersicht über die Produktionsprozesse ein Charakteristikum, das sich auf das Selbstbewusstsein der Arbeiter, ihre Fähigkeit zur Kooperation und Solidarität auswirkte und für die „Gegenwehr der Arbeit“ entscheidend war. Der Strukturwandel der Arbeit in Europa und in Industriezonen trifft gerade diese Seite der Arbeit im Kern.