Dr. Bernd Flessner über die Science-Fiction-Autoren Stanislaw Lém und Arno Schmidt
Das Genre des kommerziellen Science-Fiction-Romans erfindet Welten, in die die Phantasie auswandern kann: Exodus aus Wirklichkeit und Gegenwart. Die großen Poeten dagegen, wenn sie sich mit Zukunft befassen, spiegeln die Gegenwart, indem sie von zukünftigen Verhältnissen berichten. Großmeister in dieser authentischen Form des Zukunftsromans ist der polnische Dichter Stanislaw Lém. Über die Gegenwart Polens darf er (wegen der Zensur) nicht viel erzählen. Also hat er die wohl besten Science-Fiction-Romane der Welt geschrieben. Zum Beispiel SOLARIS, die Geschichte einer Sonne, die ein Lebewesen ist oder die vielen Geschichten vom Raumpilot Pirx. Ganz anders in der Formulierung, aber parallel in der Authentizität des Poetischen: Arno Schmidt. Seine Gelehrten auf dem Mond und der Held seines Romans SCHWARZE SPIEGEL, der die Katastrophe des Kalten Kriegs überlebte, gehören zu den Meisterwerken des phantastischen Realismus.
Der Literaturwissenschaftler Dr. Bernd Flessner berichtet.
► Der Autor als Anwalt der Zukunft (10 vor 11, Sendung vom 30.01.2017)
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► Die Zukunft steckt mitten in der Gegenwart
Die utopischen Romane und die Phantasierichtung von E.A. Poe, Jules Verne, Stanislaw Lem und Arno Schmidt unterscheidet sich grundlegend von den Science-Fiction-Ideen in STAR WARS, der PERRY RHODAN Serie oder anderen Phantasien, die sich auf den Weltraum beziehen. Die Linie Lems und Schmidts bleibt auch im Fiktiven Science, die Projektionen bekannter irdischer Konflikte in die Sternenwelt dagegen, wie sie der kommerzielle Science-Fiction-Roman und der Hollywood-Film betreibt, sind dagegen Fiction ohne Science.
Stanislaw Lem und Arno Schmidt entdecken in den Erfahrungen ihrer Gegenwart die Stoffe, die dann in ihren utopischen Romanen ins Leben treten: „Die Zukunft entsteht mitten in der Gegenwart“. Und es sind Katapulte der Emotionen in der Vergangenheit, aus denen auch in der Realität (nicht nur in den Romanen) die Zukunft entspringt. In dieser Hinsicht sind alle Zeiten, einschließlich der Kategorie der Möglichkeit, die alle Zeiten begleitet, durch eine gemeinsame Grammatik verbunden.
Man kann die brillanten Romane Stanislaw Lems als eine Kartierung der Realität und nicht bloß als Phantasien lesen. Das Gleiche gilt für Arno Schmidt in seinen Romanen „Schwarze Spiegel“ und „Kaff oder Mare Crisium“. Wie nahe Arno Schmidts Darstellungen eines Dritten Weltkriegs sind, zeigt sich nachträglich an den Realitäten des Jahres 1983, in dem sich der Kalte Krieg um ein Haar in einen „heißen“ Atomkrieg verwandelt hätte.
Dr. Bernd Flessner, Universität Nürnberg, gehört zu den besonderen Kennern jener Science-Fiction-Literatur, die die realistischsten Romane des 20. Jahrhunderts schrieb: des Werks von Stanislaw Lem und Arno Schmidt. Ein Alien in Form eines ganzen Planeten wie in Lems „Solaris“ und ein Realist wie der Raumpilot Pirx gehören zu den besten literarischen Spiegeln, die es in unserem Zeitalter (also auch für das 21. Jahrhundert) gibt.
Begegnung mit Dr. Bernd Flessner, Zukunftsforscher und Literaturwissenschaftler.
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