Richard Sennett über Heinrich den VIII., Hitler, Mussolini und DIE MACHT DES SCHICKSALS
In Venedig treffen sich Adolf Hitler und Benito Mussolini. Abends hören sie gemeinsam die Ouvertüre zu Verdis DIE MACHT DES SCHICKSALS und den TRAUERMARSCH aus Wagners GÖTTERDÄMMERUNG. Beide Musiken sprechen von künftigem Unglück und von Katastrophe. Warum lernen die Diktatoren nichts aus diesen musikalischen Lehrstücken? Sie lernen deshalb nichts, sagt der Soziologe Richard Sennett aus New York, weil sie selber „operatic figures“ sind. Sie gehören in ihrer ganzen politisch-dramatischen Haltung zur Welt der Oper und können so nicht aus ihr lernen.
Richard Sennett stellt diese Beobachtung in einen weiteren Zusammenhang. Dieser Zusammenhang betrifft sein jüngstes Buch über „Kooperation“. Das Buch enthält eine Kritik der dramatischen Attitüden, die friedliche Lösungen verhindern. Sie führen zu Katastrophen wie sie dem Prinzip Oper zugrunde liegen. Das hat, sagt Richard Sennett, auch mit dem Thema „500 Jahre Reformation“ zu tun. Heinrich der VIII. von England brachte seine sechs Frauen um: als Protestant seiner sexuellen Gier. (Er führte in diesem Zusammenhang die Reformation in England ein.) Wie kann ich, wenn ich Überdruss empfinde an meiner jetzigen Frau, mein Herz verleugnen und diese Frau nicht töten? Diesem Herrscher stellt Richard Sennett zwei höfliche Botschafter vom Kontinent gegenüber, die der Maler Holbein porträtierte. Sie interessieren sich für Kompromiss, kooperative Lösungen und Frieden. Sie verweigern das „Drama“.
Richard Sennett ist Soziologe an der New York University und an der London School of Economics sowie im MIT in Boston. Zu seinen Büchern gehören „The Fall Of Public Man“, „Handwerk“ und zuletzt „Zusammenarbeit: Was unsere Gesellschaft zusammenhält“.
► Drama ist der Anfang aller Opern (10 vor 11, Sendung vom 31.10.2016)
Sehen Sie dazu auch auf dctp.tv:
► Sennett: The City as an Open System
We all are Homo Faber: Making, Open Systems and Terms of Cooperation.
Speaker: Richard Sennett
Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Germany
(CC BY-SA 3.0 DE)
► Digitale Metropolis
Der Mensch ist Mensch, weil er Konkretes schafft und seine Umwelt verändern kann, so das „Homo Faber“-Credo des amerikanischen Soziologen Richard Sennett. Philip Banse fragt ihn, was mit uns passiert, wenn Algorithmen regieren, von denen nicht mal ihre Programmierer wissen, was sie tun.
► Das Prinzip Stadt (Podiumsdiskussion)
Mit dem Soziologen Richard Sennett und dem Architekten David Chipperfield. Mit einem Geleitwort von Bernd M. Scherer, Direktor des HKW und Thomas Matussek, CEO der Alfred Herrhausen Gesellschaft.
► Die offene Stadt
Seit 40 Jahren untersucht der angelsächsische Soziologe Richard Sennett mit seiner Arbeitsgruppe die Städte, vor allem die Mega-Städte wie New York, Lagos, Shanghai, Mexico City, London, Sao Paolo u.a.. Er leitet das „Urban Age Project“ , das an der London School of Economics und an der New York University seinen Sitz hat.
Die erste Zivilisation in Mesopotamien um etwa 3.000 vor Christus beruht bereits auf dem Prinzip Stadt. Dass Menschen auf so engem Raum miteinander leben, ohne sich tot zu schlagen, erfordert im Verhältnis zu früheren Clans einen gesellschaftlichen Wandel. Er ist verbunden mit Schrift, Religion, Buchhaltung, Kooperation, Versorgung und Gesetzen. Alles dies bildet das „Prinzip Stadt“. In dieser Hinsicht sind Städte eine Toleranzleistung. Sie haben ihre Gestalt im Laufe der Jahrtausende mehrfach variiert und verändert. Bei den heutigen Agglomerationen und Mega-Städten, so die Forschungsergebnisse von Richard Sennett, ist aber nicht der persönliche Wunsch der Menschen vom Land in die Stadt der Hauptfaktor („Stadtluft macht frei“). Viel mehr ist es die Unmöglichkeit, auf dem Lande zu überleben der Grund für die zunehmende Verstädterung. Die Städter z.B. in Lagos in Nigeria oder in Shanghai sind zunehmend „Landvertriebene“. Die Soziologen wissen, dass in einigen Jahrzehnten 70% der Menschen auf der Erde in städtischen Agglomerationen leben werden.
Richard Sennett unterscheidet bei seinen Untersuchungen „ville“ (die Wohnstadt) von der „cité“ (der Stadt, die ein Gemeinwesen darstellt). Viele geplante oder von Investoren strukturierte Städte, sagt er, bilden, vom Leben der Menschen betrachtet her, Gefängnisse. Diesen verfehlten Konzepten stellen Richard Sennett und seine Mitarbeiter das Modell der OFFENEN STADT gegenüber, in der die Menschen selbst und nicht die Planer das Biotop der Stadt weiterentwickeln.