Prof. Dr. med. Thomas Brandt: die Angst der Menschen beim Blick in die Tiefe
Das menschliche Gleichgewicht ist eine sehr alte und höchst komplexe Eigenschaft. Beteiligt sind die Augen, die sich am Horizont orientieren, die Ohren, die das Gleichgewicht automatisch prüfen und auch die Muskeln, die das Verhältnis des Menschen zur Gravitation im Erdinnern registrieren und durch Anspannung und Lockerung beantworten. Gibt es zwischen diesen komplexen Wahrnehmungen, die noch dazu im Hirn koordiniert werden müssen, Störungen, entsteht der sogenannte Schwindel. In der Frühzeit haben unsere Vorfahren offenbar eine instinktive Angst vor Klippen, vor Abstürzen und Abgründen erworben. Der Blick in die Tiefe führt bei allen Menschen zu einer Reaktion und bei einigen zu einer Phobie, die dem Willen nicht unterliegt.
Prof. Dr. med. Thomas Brandt ist Chef des einzigen Instituts in der Welt, das Schwindelforschung betreibt und das zum Klinikum in Harlaching gehört. Er berichtet über das Schwindelgefühl des Gelben Kaisers, den Film VERTIGO und die Vielfalt menschlicher Reaktionen, die bei Schwindelgefühl eintreten und in einigen Fällen schwere Krankheit auslösen.
► In der Höhe wird mir bang (News & Stories, Sendung vom 22.11.2016)
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► Angst und Mut im Gleichgewicht
Die Gefahrenräume, die Reinhold Messner aufsucht, haben archaischen Charakter – dort merkt der Mensch, wer er ist und dass der Selbsterhaltungstrieb der bedeutsamste des Menschen ist. „Ich trage die gesamte Entwicklungsgeschichte des Menschen in mir“, sagt der Tiroler Bergsteiger. Mit jedem Meter in der Felswand nach oben geht Messner zurück in der Entwicklungsgeschichte.
► Schwerelos leben
Wir Menschen sind von der Evolution an den Planeten Erde, an dessen Lebensbedingungen und vor allem an dessen Gravitation angepasst. Die Gravitation z.B. ist nicht nur von Einfluss auf den aufrechten Gang, sondern auch für das Verhalten der Körperflüssigkeiten, die wir in uns tragen. Im Weltall sind alle diese Bedingungen anders. Hinzu kommt die harte Strahlung, gegen die der Mensch Schutz braucht. Menschen geraten bei der Raumfahrt, insbesondere wenn diese sich auf andere Planeten und Monde und nicht nur auf den erdnahen Orbit bezieht, an ihre Grenzen. Raumfahrtmediziner Prof. Dr. med. Dipl. geol. Hanns-Christian Gunga, Sprecher des Zentrums für Weltraummedizin Berlin (ZWMB), berichtet.
► Der Abgrund zwischen Hirn und Welt
Zwischen der Außenwelt und der Bearbeitung unserer Eindrücke im Gehirn liegt die Grenzlinie zwischen Geist und Physik. Sie bildet einen Abgrund; dringen z.B. Schallwellen ins Ohr, so wird davon nichts direkt in die Zeichensprache der Gehirnzellenübernommen. Alle Laute und Silben werden in extrem kleine Kürzel verwandelt und von verschiedensten Instanzen im Gehirn neu zusammengesetzt. Man kann sagen: die gesammelten Missverständnisse der menschlichen Gehirne über die Welt und das Chaos außen (einschließlich der babylonischen Sprachverwirrung) haben sich in einer langen Evolution so lange aneinander gerieben bis „Wahrnehmung“ und „Verständnis“ entstand.
Prof. Dr. David Poeppel ist als Biologe und Physiker spezialisiert auf diesen „Abgrund zwischen Hirn und Welt“. Ihn wundert immer erneut welch hohes Maß an Übereinstimmung über den Abgrund hinweg zwischen so unvereinbaren Welten wie dem Geist und der Physik entstehen.