Prof. Dr. Brecht über die bisexuelle Architektur unseres Gehirns
Zu den Geheimnissen der Evolution gehört die Tatsache, dass die Architektur im Gehirn aller Wirbeltiere, also auch von uns Menschen, bisexuell ist. Während sich im Äußeren die Geschlechtsmerkmale deutlich unterscheiden, sind sie auf der Landkarte des Gehirns, also in ihren Abbildungen in den Milliarden Neuronen im Kopf, fast nicht zu unterscheiden.
Einige dieser Rätsel der Evolution dürfen aus ethischen Gründen nicht am Menschen selbst untersucht werden. Ein herausragend geeignetes Tier für die paläobiologischen und biologischen Untersuchungen ist ein sehr kämpferisches, bewegliches, intelligentes und aggressives Lebewesen, das zu unseren Vorfahren zählt: die etruskische Zwergspitzmaus. Sie ist körperlich so klein, dass sie, um die Hitze ihres Körpers auszubrüten, permanent jagen und fressen muss. Für die Navigation ihrer extrem raschen Bewegungen ist die Empfindlichkeit ihrer Barthaare entscheidend. Schaltungen zwischen Körper und Geist, die bei großen Lebewesen wie den Elefanten oder uns Menschen stark verlangsamt und gelegentlich verkümmert sind, sind bei diesen Winzlingen in vivo und mit allen Attributen der „Not, die erfinderisch macht“ zu beobachten.
Prof. Dr. Michael Brecht, Wissenschaftler am Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience und der Humboldt-Universität zu Berlin, führt auf eine Forschungsreise in die Landschaften des Körpers, wie sie sich im Gehirn darstellen: „Die Innenausstattung von Angriffsgeist, Intelligenz und Feinsteuerung“.
► Landkarten des Körpers im Geist (News & Stories, Sendung vom 04.10.2016)
Sehen Sie dazu auch auf dctp.tv:
► Die Rolle der Persönlichkeit in der Evolution
Die Morphologie der Pflanzen und Tiere ist ein besonderes Feld der Evolution. Weil alles Leben miteinander verwandt zu sein scheint, sagt Goethe: „Alles ist Blatt“. Die Blüten und später die Tiere. Hier spielen individuelle Charaktere, die Logik der sexuellen Evolution und die Dialektik menschlicher Formen eine mächtige Rolle. In dieser Hinsicht ist die Evolution eine „Geologie des Lebendigen“.
Olof Leimar, Universität Stockholm und Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, über die Rolle des Individuellen in der Biologie.
► Machtzentrale Menschenhirn
Die koloniale Welteroberung durch den westlichen Menschen und das Interesse der Anatomen für das menschliche Gehirn, das diesen Kolonialismus sich ausdachte, setzte im 18. Jahrhundert fast gleichzeitig ein: Das Menschenhirn ist eine Machtzentrale, die sich selbst erforscht. Bei dieser Welteroberung nach außen und nach innen mischen sich Wissenschaft und Vorurteil.
Prof. Dr. med. Pascal Grosse, Arzt und Neurobiologe, berichtet.
In Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftskolleg zu Berlin.
► Ich bin Hirnforscher
Thomas Südhof ist ein Grenzgänger zwischen Europa und den USA. Er gehört zu den weltweit bedeutendsten Hirnforschern. Am milliardenschweren Human Brain Project ist er beteiligt. Vor etwa 800 Millionen Jahren, sagt er, entwickelten sich aus urzeitlichen Lebensformen die Tiere. Was sie von Anfang an auszeichnet, sind chemische und später elektrische Botenstoffe und Signale, die die lebendigen Reaktionen ausmachen. Aus dieser internen Kommunikation („empfindender Zellen“) entwickeln sich Nerven und Hirn.
Die Potenz dieser Gehirne, vor allem die des menschlichen, ist enorm. Dies ist paradoxerweise der Unbestimmtheit und Ungenauigkeit der Informationsübertragung zwischen den Synapsen, den Verbindungs- und Nahtstellen zwischen den Elementen des Gehirns, zu verdanken. Gerade die Unbestimmtheit gibt die Chance für die Ausweitung der Information. In ihr besteht die Plastizität des Denkorgans.
Dieses Gehirn, das untrennbar mit dem Körper verknüpft ist, bleibt auch für die modernste Forschung ein Rätsel. Ein Schwerpunkt der Forschung von heute bezieht sich auf die Krankheiten des Geistes, von denen Thomas Südhof annimmt, dass wir deren organische Basis künftig erkennen werden.
Es gibt wenige Personen in der Welt, die so überzeugend sagen können „Ich bin Hirnforscher“ wie Prof. Dr. Südhof.
► Unsere fliegenden Verwandten in der Nacht
In den „heißen Höhlen“ (hot caves) Kubas untersucht Prof. Dr. Kössl die Nervennetze und Gehirne junger Fledermäuse. Vor allem interessiert ihn die Periode gleich nach der Geburt und die Lernphase. Die Fledermäuse verfügen über ein einzigartiges Echolot-System, mit dem sie sich in ihrer Umwelt als Meister der Navigation erweisen. Sie „sehen“ indem sie mit ihren hoch ausgebildeten Ohren hören. Ihre Hirne und Sinne stammen in der Evolution offenbar von den gleichen Vorfahren ab, von denen wir Menschen abstammen: den Spitzmäusen.
Prof. Dr. Manfred Kössl, Neurobiologe an der Universität Frankfurt/Main, berichtet farbig über seine Forschungen in den Höhlen Kubas.
► Gehirne von Menschen und Vögeln
Vor 280 Millionen Jahren trennten sich die Wege zwischen den Vorfahren der Vögel und denen der Menschen. Immer noch aber zeigen die Gehirne von Raben und Papageien in ihren Strukturen verblüffende Ähnlichkeiten mit denen der Menschen. Spiegelt man diese elementaren Grundzüge der Denkapparate, so gelangt man zu einem besseren Verständnis für beide Arten der Gehirne und erhält interessante Einblicke in die Arbeitsweise der Evolution.
Prof. Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität Bochum berichtet.
Spannend und informativ.