Neu im Catch-up Service: Im Mantel der Nacht


Begegnung mit dem Dichter Reinhard Jirgl
Reinhard Jirgl, Jahrgang 1953, ist Träger der bedeutendsten deutschen Literaturauszeichnung, des Georg-Büchner-Preises. Seine Romane sind für die Dichte ihrer Sprache und ihren reichen Erfahrungsgehalt bekannt.
Was bedeutet für diesen Dichter die Abenddämmerung und die Nacht? Wie würde er eine Morgenröte bedichten? Was fesselt ihn an Hölderlin oder Edgar Allan Poe? Was löst der Sternenhimmel bei ihm an Phantasien aus?
Ein Werkstattgespräch zwischen Alexander Kluge und Reinhard Jirgl. Zwei Autoren. Wie schreibt man in unserer Zeit Texte, die die so verschiedene Idole wie Heiner Müller, Arno Schmidt, Gottfried Benn, Ernst Jünger fortsetzen? Was sind vorrangige Themen im 21. Jahrhundert?
Einer von Reinhard Jirgls Romanen, „Nichts von euch auf Erden“, wurde kürzlich zu einem Drama umgearbeitet und mit Erfolg auf der Bühne aufgeführt. Es geht darum, dass Menschen mit Gewalt den Mars für eine menschliche Besiedlung herzurichten suchen. Die aggressive Aktion wirft, statt den Mars bewohnbar zu machen, den Marsmond Phobos aus seiner Bahn. Der Mond stürzt auf unsere Erde und vernichtet sie. Wie vor 4 Milliarden Jahren muss das Leben auf unserem Planeten vom Einzeller aufwärts neu anfangen.
► Im Mantel der Nacht (News & Stories, Sendung vom 17.08.2016)


Literaturempfehlung

nichts-von-euch-auf-erdenReinhard Jirgl: Nichts von euch auf Erden
Im 23. Jahrhundert ist die Erde für die Raubgier der Märkte und Mächte zu klein geworden. So beginnt die Auswanderung der Starken auf Mond und Mars; auf Erden zurück bleibt nur die alte, schwache Menschheit. Schon zwei Jahrhunderte später erweist sich der Mars als so lebensfeindlich, dass die neuen Menschen zurückkehren und brutal die Macht auf der nun friedlichen Erde an sich reißen. Was wie eine düstere Science-Fiction-Vision klingt, ist ein grandioser Roman über die uralte Frage von Emigration und Heimkehr. Reinhard Jirgl, einer der wichtigsten Autoren der Gegenwartsliteratur in Deutschland, erzählt in unvergesslichen Bildern von Gier und Gewalt, Unterdrückung und Krieg, Leben und Tod.
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► Ein Dichter wie ein Vulkan
jirglReinhard Jirgl erhielt die höchste literarische Auszeichnung in der Bundesrepublik, den Georg-Büchner-Preis für seine zahlreichen Romane. Einer davon behandelt einen Zukunftsstoff. Im 25. Jahrhundert (etwa im Jahre 4016) kehrt die Avantgarde der Menschheit enttäuscht vom Mars auf die Erde zurück. Der Versuch, den roten Planeten für menschliche Zwecke bewohnbar zu machen, ist misslungen. Bei einem zweiten Ansatz soll die Achse des Mars um einige Grad zur Sonne hin gewendet werden. Der Gewaltakt geht schief. Die Sprengung, die die Achse neu ausrichten soll, kickt den Marsmond Phobos in Richtung Erde. Der Einschlag dieses Monds zerstört alles Leben auf Erden. Diese Geschichte wird mit der unnachahmlichen Wortgewalt und poetischen Kraft Jirgls erzählt: ein Vulkan von Worten. Seinem poetischen Erfahrungsgehalt nach handelt dieser Zukunftsroman im Kern zugleich von allen Vergangenheiten der Menschen und somit von unserer Gegenwart, die an Dramatik nicht arm ist. Alexander Kluge im Gespräch mit Reinhard Jirgl. Aus Anlass der Dramatisierung seines Romans „Nichts von Euch auf Erden“ an den Münchner Kammerspielen.


► Zwischen Science und Fiction
scienceEs geht um eine Konferenz über die Militarisierung des Weltraums. Es wird über Phantasien und fiktionale Berichte referiert: über Ufos, Star Wars, SDI. Die Wissenschaft und die Praxis im Weltraum haben mit bizarren Projekten diese Welt der Fiktion in einigen Punkten längst überholt. Einige der Science-Projekte wurden nicht ausgeführt. Was sind „Teslas Todesstrahlen“? Wie funktionieren die Satelliten, die für das GPS-System erforderlich sind, ein Weltraumauge, das unsere Fahrzeuge und unsere intime Umgebung erreicht. Das Pentagon stufte die überwältigende Genauigkeit dieses Systems für die zivile Nutzung künstlich herab. Dann kam die Lieferung der militärischen GPS-Geräte während des Irak-Kriegs in Verzug. U.S.-Soldaten orderten ziviles Gerät aus den Kaufhäusern. Da musste das Pentagon das Potential des Systems auch für die zivile Nutzung scharf stellen. Das ließ sich später nicht wieder zurücknehmen. Ein militärisch ungewollter Beitrag zum Fortschritt.
Es berichten Dr. Alexander C.T. Geppert, Historiker, Dr. Diethard Sawitzki, Historiker und Dr. Paul Cerruzzi, National Air and Space Museum Washington.


► Die Vermessung der Hölle durch Galilei
vermessung-hoelleDer Physiker Galileo Galilei schrieb 1587 für die Akademie von Florenz einen verblüffenden Text: „Vermessung der Hölle nach Dante Alighieri“. Dante hatte in seinem berühmten Versepos „Die Göttliche Komödie“ eine Wanderung beschrieben, die er in Begleitung der antiken Dichters Vergil durch Hölle und Fegefeuer bis zum Paradies unternimmt. Luzifer, der wie ein Komet ins Erdreich gestürzte Engel, hat ein tiefes Loch geschlagen: das Höllenreich. Es findet sich unterhalb von Jerusalem. Den tiefsten Punkt des Kraters bildet ein Eissee, in dem Luzifer ruht. Vergil und Dante wandern von seinem Bauchnabel den Oberschenkel hinab bis zu seinem Fuß. Benachbart liegt die Teufelstadt. Das Erdgewölbe über dem Höllenreich hat eine Stärke von 405 12/22 Meilen.
Dieses poetische Kolossalgemälde nimmt der Physiker Galilei zum Ausgangspunkt, um mit den Mitteln der exakten Wissenschaft Ort und Einzelheiten der Hölle zu rekonstruieren.
Der Büchner-Preisträger Durs Grünbein hat dieses absurde Aufeinandertreffen von Fiction und Faction in seinem neuesten Buch mit dem Titel „Galilei vermisst Dantes Hölle“ beschrieben.