Biograph Mike Jennings: „Wie Walter Benjamin mit Ideen spielt, spielen die Kinder mit Waffen.“
Bei Ausbruch des ersten Weltkriegs ist Walter Benjamin 22 Jahre alt. Er gehört zu dieser Zeit zu einer der Fraktionen der Jugendbewegung, die einen neuen Menschen ins Auge fasst. In den 30er Jahren arbeitet er eng mit Bert Brecht zusammen. 1940 begeht er, auf der Flucht vor den Häschern des Dritten Reichs, Selbstmord. Sein Werk, das eine stark fragmentarische und zugleich eine Struktur der Zusammenhänge aufweist, gehört zu den Grundfesten der Moderne. Mike Jennings, Princeton University, ist der Biograph Benjamins.
Alle Texte und Werke Benjamins greifen die Dinge an der Wurzel und sind im wörtlichen Sinne des Wortes „radikal“. Niemals beugt sich Benjamin jedoch einem Schema, einer Doktrin, einer bloßen Fortsetzung eines gefundenen Ansatzes aus Verstandesgründen. Vielmehr geht es ihm, sagt er, darum, die in der Ding- und Warenwelt und die in den Phantasmagorien der menschlichen Köpfe verborgenen ungeschriebenen Texte zu lesen. Dazu gehört Offenheit, nicht bloße „Konsequenz“.
Auch in der für die europäische Moderne zeitweise aussichtslosen Situation, als der Faschismus in Europa überall im Vordringen ist, sucht Walter Benjamin – gemeinsam mit Bert Brecht – nach den Elementen eines Neuanfangs. Noch als die deutschen Truppen 1940 schon zu ihrem Sprung nach Paris ansetzen, schreibt Benjamin an seinem Passagenwerk und vor allem an dem Projekt über seine Berliner Kindheit. Er verbindet die Erfahrung eines Erwachsenen mit den stets neugierigen Augen eines Kindes: Ein Fall von „philosophischer Neotenie“.
Ein Blick auf den kreativen und beharrlichen Widerstandsgeist Walter Benjamins.
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► Neugierig wie ein Bieber
Walter Benjamin gilt mit Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas als eine der Säulen der Kritischen Theorie. Wir begegnen einem der beiden Biographen Benjamins, Michael W. Jennings. Er hat das Buch „A critical life“ gemeinsam mit Howard Eiland geschrieben und ist Hochschullehrer an der Princeton Universität und Chef des dortigen deutschen German Department.
Jennings zeigt die tiefe Verwurzelung Benjamins in seiner Kindheit und in Traditionen der Klassik. Das steht im Kontrast zu seiner Verschränkung mit der Moderne (Bauhaus, Moholy-Nagy, Hans Richter, bis hin zu Dada, Surrealismus, der neuen Sachlichkeit und anderen Strömungen der Moderne): Ein Mann zwischen den Zeiten. Seine Neugier und die Differenz in allem, dem er begegnet, katapultieren ihn gewissermaßen aus seiner Zeit in die Zukunft, sodass seine (oft unvollendeten) Arbeiten für unser 21. Jahrhundert von höchster Aktualität sind. Als Emigrant in Paris wird er 1940 vom deutschen Einmarsch überrollt. Er will über die Pyrenäen die USA erreichen. Als er glaubt, dass die spanischen Grenzbehörden, ihn an die deutschen Herrscher ausliefern werden, nimmt er sich das Leben.
Eine seiner bekanntesten Arbeiten ist das riesige „PASSAGEN-WERK“ (benannt nach den überdachten Einkaufsstraßen in Paris, der „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“, dem Domizil der „Warenwelt“). Das Werk ist ein Ausgangspunkt für die Weiterführung relevanter Theorie im 21. Jahrhundert. An keinem anderen Werk kann man die Kontinuitäten und scharfen Differenzen zwischen 19., 20. Und 21. Jahrhundert besser erkennen als an diesem. Es gilt die Denkansätze Benjamins entschieden fortzusetzen.
Begegnung mit Prof. Dr. Michael W. Jennings und dem Buch „A critical life“.