Les Contes d’Hoffmann von Jacques Offenbach an der Komischen Oper Berlin
Jaques Offenbach verstarb plötzlich während der Proben im Oktober 1880 zu seinem wohl komplexesten Werk, der Opéra Comique LES CONTES D’HOFFMANN. Er hinterließ eine Riesenbaustelle mit Hauptsachen und Fragmenten: 1.200 Seiten Partitur. Daraus entstand eine erstaunliche Zahl von Versionen. Für jede Aufführung und für jedes Regietemperament ein anders Stück! Inzwischen wurde aber eine Fassung entdeckt, die zur Vorlage bei der Zensurbehörde in Paris bestimmt war. Die ursprünglichen Absichten Offenbachs werden so besser erkennbar. Die Originalversion, zu der sich die Komische Oper Berlin entschied, zeigt ein verblüffend neues Bild von hoher Konsistenz.
Den Stoff der Oper bilden mehrere Erzählungen des Juristen und Dichters E.T.A. Hoffman, des Idols von Baudelaire, Kafka und der Surrealisten. Den Intendanten der Komischen Oper, Barrie Kosky, der die Inszenierung übernommen hat, reizt vor allem der Surrealismus in Offenbachs Werk, der die Moderne bis hin zu PSYCHO von Hitchcock vorwegnimmt. Es geht um einen Liebesroboter, die Puppe Olympia „mit den Glasaugen“, die Sängerin Antonia, die sterben muss, wenn sie singt: Seltsam für eine Opernrolle. Giulietta wiederum, die Kurtisane aus Venedig, nimmt ihrem Liebhaber Hoffmann das Spiegelbild weg. Es geht um Angst, seine Organe, seine Seele, seine Identität zu verlieren.
Die Inszenierung ist voller packender Neuentdeckungen. Die Musik wird in hinreißendem Tempo vom Schweizer Dirigenten Stefan Blunier vorangetrieben.
► „Lebendige Hölle“ (News & Stories, Sendung vom 25.05.2016)
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► Die Ohren sind ein Hirn für sich
Seit der Antike begleitet die Musik die menschliche Erfahrung. Dabei besitzt sie, sagt der Harvard-Professor John T. Hamilton, eine glückliche, tröstende und eine unheimliche Seite. Darüber arbeitet er in seinem Projekt „Musik und Wahnsinn“.
Da, wo die Sprache aufhört, beginnt die Musik. Dort, wo die Begriffe nicht mehr gelten, beginnt auch der Wahn. An Beispielen von Heinrich von Kleist, E.T.A. Hoffmann, des Orpheus-Mythos und an Ausschnitten von ORFEO von Monteverdi und anderen Opern zeigt Hamilton die emotionale Verknüpfung in diesem Zusammenhang: Musik ist nicht harmlos, sie besitzt auch Gewalt.
So ist Orpheus fähig, die Götter der Unterwelt mit seiner Musik zu rühren. Kurze Zeit später wird er von den wilden Frauen Thessaliens umgebracht. So ist zwar die Flöte ein Naturprodukt, die wunderbare und poetische Lyra stammt dagegen aus den Sehnen im Hals des abgeschlagenen Hauptes der Medusa.
Die Musik, behauptet Professor Hamilton, ist eine zweite Sprache der Menschen, vermutlich die ursprüngliche. Die Ohren nämlich sind ein „Hirn für sich“.
Begegnung mit Prof. John T. Hamilton.
► Treue in total verwanzter Welt
Beethovens einzige Oper FIDELIO geht auf eine französische Theatervorlage zurück. In dem Theaterstück geht es um ein Ereignis während der Französischen Revolution. Der Anführer einer unterlegenen revolutionären Fraktion wird von seinem Rivalen eingekerkert und soll im Gefängnis ermordet werden. Seine Frau, verkleidet als Mann, befreit ihn im letzten Moment aus seiner Lage.
Ausgehend von der letzten Fassung Beethovens von 1814 hat die Staatsoper Stuttgart Beethovens Originalwerk so stark wie möglich wiederherzustellen versucht. Es kommt dabei zum Vorschein, wie theatergeeignet diese Oper ist. Konsequent werden in Stuttgart die gesprochenen Dialoge ohne unnötige Kürzung mit den Musikszenen integriert. Das ist ein Stilelement der damaligen französischen Oper und man merkt in der Stuttgarter Aufführung, wie wesentlich für Beethoven diese Herkunft ist. Es geht nicht nur dem Inhalt nach, sondern auch in der Form, um eine revolutionäre Befreiungsoper.
Das Drama in Stuttgart spielt sich ab in dem letzten großen Bühnenbild des 2015 verstorbenen Bühnen- und Kostümbildners Bert Neumann. So pur und gleichzeitig substanzstark war diese Oper Beethovens selten zu sehen.
Inszenierung Jossi Wieler und Sergio Morabito. Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling.
► Delightful Horror – Attraktion des Bösen
Das Böse, von dem nicht erzählt werden kann, wird übermächtig. Wird es an den Horizont gerückt, kehrt es im Innern der Menschen verstärkt zurück. In der Literatur gibt es deshalb eine Erzähltradition, die den Unterschied zwischen Gut und Böse unscharf hält. Zu ihr gehören z.B. Franz Kafka, Curzio Malaparte, Ernst Jünger und Jean Genet, Don DeLillo und Jonathan Littell. Im Film INGLORIOUS BASTERDS hat der Regisseur Quentin Tarantino diese Erzählweise furios vorgeführt.
Prof. Dr. Peter-André Alt, Germanist und Präsident der FU Berlin, hat das Buch geschrieben „Ästhetik des Bösen“. Er berichtet.
► Sieger müssen Trauer tragen
Die Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin nimmt Verdis AIDA beim Wort. In dieser Oper verbindet Verdi zwei äußerst verschiedene Materialien: ein musikalisch präzises und emotional authentisch gestaltetes Beziehungsdrama zwischen den Hauptpersonen Aida, Amneris und Radames mit einer in groben, in plakativen Flächen gezeichneten Festoper zur Eröffnung des Suez-Kanals, einer Staatsaktion, die der Triumphmarsch krönt. Der Regisseur Benedikt von Peter versteht die Zwiegestalt dieser Oper korrekt so, dass Verdi keineswegs für die triumphierende Siegermacht Ägypten Partei ergreift, sondern – im Gegenteil – für die Unterlegenen der Geschichte, die Stimmlosen und die real empfindenden Menschen.
In Benedikt von Peters Inszenierung sitzen die Choristen einzeln verteilt im Zuschauerraum. Sie singen quasi als Individuen gegen das frontale Geschehen auf der Bühne an. In solch filigraner Auflösung in ihre Details wird deutlich,
wie großartig diese wohl populärste Oper Verdis im Einzelnen gearbeitet ist. Anti-imperiale Musik!
Musikalische Leitung: Andrea Battistoni. Eine grandiose stimmliche und schauspielerische Leistung: Tatjana Serjan als Aida.