Michel Onfray, der militanteste Heide Frankreichs
200 Jahre nach Beginn der Französischen Revolution erschien 1989 das erste Werk des streitlustigsten der Philosophen Frankreichs: MICHEL ONFRAY, DER BAUCH DER PHILOSOPHEN. Schlag auf Schlag folgten jährlich weitere Publikationen. Alle kommen sie aus dem subversiven Denken, das sich aus der KYNISCHEN VERNUNFT des Diogenes herleitet. Militant operiert Onfray gegen alles Religiöse. Ein „Tribun des Volkes für das Projekt der Aufklärung“. Dieses Projekt führt keine Historie auf, sondern versteht sich als Angriffswaffe im 21. Jahrhundert. Inzwischen hat der Arbeitersohn aus der Normandie, der durch viele Examen durchfiel, eine eigene Volksuniversität in Caen eröffnet.
Onfray empört z.B. die Behauptung der Bibel, die wissensdurstige Eva sei aus der Rippe Adams entstanden. Er dreht das um: wir, die Philosophen, stammen aus der Rippe Evas: auf Grund von deren Wagemut, „wage dich, deines eigenen Verstandes zu bedienen und esse vom Baum der Erkenntnis“. In solcher Weise liest er in religiösen Überlieferungen unbefangen wie in Texten von Tacitus. Mit großer Aufmerksamkeit und mit definitivem Unglauben. Sein neuestes Buch „Den Islam denken“ beruht auf präziser Lektüre des Koran. Das Bild ist differenzierter als üblich. Die Debatte hat Onfray erneut auf alle Titelseiten der französischen Presse gebracht. Militant und rücksichtslos geht er gegen den Schematismus der öffentlichen Meinung und der „political correctness“ vor, die „Texte der wirklichen Verhältnisse“ wie die Attentate in Paris und Brüssel nur zudeckt und nicht erklärt. Eine Nachricht, sagt er, hat eine Lebenszeit von 72 Stunden. Eine gründliche politische Erfahrung, und damit eine Frage an den Philosophen, braucht gut 100 Jahre, um stabil zu sein.
Oft wird über Onfray debattiert, ob er neuerdings mehr links oder mehr rechts reagiere. Der Philosoph liegt quer zu diesem Schematismus. Auf die Frage, mit wem er sich in der Französischen Revolution am meisten identifiziere, antwortet er: mit der Mörderin des Marat, Charlotte Corday, im Moment, in dem sie umgebracht wird.
Seiner philosophischen Herkunft nach nennt Onfray sich einen Schüler Nietzsches. Eine seiner dichtesten Parabeln aber stammt von Arthur Schopenhauer: DIE ZWEI SIBIRISCHEN STACHELSCHWEINE. Draußen ist es extrem kalt, die Kälte treibt uns menschliche Stachelschweine eng zueinander. Wir haben Stacheln. Das treibt uns wieder auseinander. So ist Balance zwischen zu nah und zu weit weg und kein Entweder/Oder das Gebot der Stunde.
Begegnung mit Michel Onfray in Paris.
► Wir Philosophen aus der Rippe Evas (News & Stories vom 18.05.2016)
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