Volker Leppin: Die protestantische Wende nach 1517
Es lohnt sich, auch in Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr 2017, die religiöse und politische Wende in Mitteleuropa nach 1517 (dem Beginn der Reformation in Wittenberg), in ihren Zusammenhang zu setzen, zu verstehen und für unsere Zeit neu zu „übersetzen“. Man sieht dann nicht nur auf Luther, sondern auch auf andere Vertrauensmänner jener Zeit wie Erasmus von Rotterdam oder den Theologen Melanchthon. Man erkennt dann auch die starken Zusammenhänge zwischen dem Bauernaufstand und den ideellen Umbrüchen jener Zeit.
Im Mittelalter gibt es Darstellungen, wie der Heilige Geist durch eine Taube sich ans Ohr des schreibenden Mönches wendet. Der Glaube hat seine Wurzel nicht bloß in der Schrift, sondern vor allem im Wort und in den unsichtbaren Bildern der Musik. Sie gehören zur SPIRITUALITÄT. Der Glaube kommt aus dem Hören. Er lebt nicht auf der Augenweide. Dieser Ansatz gehört zur Radikalität („Wurzelhaftigkeit“) jener Wende um 1517, die wir die Reformation nennen und die einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren umfasste. Die Reformation hat viele Echos, auch in den oft tiefgreifenden Antworten der Gegenreformation. Der Protestantischste unter den Katholiken, der Begründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola und der Reformator Calvin saßen gemeinsam als Kommilitonen im Theologischen Seminar der Universität Paris. In der Geschichte der Kirchenspaltung lässt sich das Verbindende und manche Nähe ebenso untersuchen wie das Trennende.
Begegnung mit dem Kirchengeschichtler und Theologen Prof. Dr. Volker Leppin, Universität Tübingen. Ihm ist eine grundlegende Untersuchung der Reformationsepoche zu verdanken.
► Der Glaube kommt aus dem Hören (News & Stories vom 23.12.2015)
Literaturempfehlung
Volker Leppin – Die fremde Reformation: Luthers mystische Wurzeln
Die Reformation gilt als Zäsur, mit der das Mittelalter endet. Volker Leppin zeigt demgegenüber, dass der junge Luther einer von vielen mystischen Schriftstellern war, und führt uns eine Reformation vor Augen, die viel mittelalterlicher und fremder ist, als es die Meistererzählungen von diesem „Umbruch“ wahrhaben wollen. Der Thesenanschlag zu Wittenberg, die Urszene der Reformationsgeschichte, hat nicht stattgefunden. Vielmehr hat Luther an diesem Tag ein „Disputationszettelchen“ verschickt, so wie es akademischer Brauch war. Diese und viele andere überraschende Erkenntnisse lassen sich gewinnen, wenn man Luther konsequent in seinem spätmittelalterlichen Umfeld betrachtet. Rechtfertigungslehre und „Priestertum aller Gläubigen“, Predigtgottesdienst, Papstkritik und landesherrliches Kirchenregiment – all dies war selbstverständlicher Teil des spätmittelalterlichen Spektrums an Positionen und Protesten. Neu war allerdings die Art, wie Luther diese Elemente miteinander verband und von unterschiedlichen Interessengruppen zum Vordenker erhoben wurde. Erst diese Gemengelage führte zur Zuspitzung des Konflikts mit Rom. Vergessen und verdrängt wurden dabei Luthers mystische Wurzeln.
Volker Leppin ruft sie anschaulich in Erinnerung und gibt Luther den spätmittelalterlichen Kontext zurück, der ihm von Protestanten wie Katholiken seit Jahrhunderten vorenthalten wird.
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► Am Puls der Reformation
Die moderne Forschung hat das Schwarz-Weiß-Bild von der Reformation, wie es im 19. Jahrhundert gemalt wurde, stark verändert. Auch vor der Wende von 1517 existierte auf beiden Seiten die einander nach der Reformation gegenüberstanden, eine starke spirituelle Vielfalt. Tradition und Umbruch erweisen sich als stärker verschränkt als es der bisherigen Darstellung entspricht.
Auch Luther verhielt sich anfangs dialogisch. Einige der ihm zugeschriebenen apodiktischen Handlungen und Worte, z.B. der Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg und das ihm zugeschriebene Wort auf dem Reichstag: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ sind keineswegs verbürgt.
In zwei Jahren werden die Medien der 500. Wiederkehr der Reformation gedenken. Das Bild, das Luther, Calvin, die Marburger Religionsgespräche und der provisorische Religionsfrieden von 1555 zeigen, wird dadurch, dass es sich als differenzierter erweist, für uns und die Gegenwart umso interessanter.
Prof. Dr. Volker Leppin, evangelischer Theologe und Kirchengeschichtler, über das Auseinanderdriften der Christenheit vor 498 Jahren.
► Das Ballett der Kriegsgründe
Japan überfiel Pearl Harbour (und zuvor die Russen in Port Arthur) ohne Kriegserklärung. Auch Präsident George W. Bush erklärte Saddam Hussein vor der Bombardierung Bagdads nicht den Krieg. Das war in den Standesgesellschaften und Monarchien des Mittelalters und der Neuzeit anders. Es gehörte zum Standing und zur Ehre eine Fürsten, „den Krieg zu erklären“ und ihn durch „Manifeste der Gewalt“ höflich zu begründen.
Die Historikerin Anuschka Tischer, Universität Würzburg, hat die Formenwelt der Kriegserklärungen und Kriegsbegründungen in der Zeit von 1500 bis 1850 untersucht. Nichts ist so aufschlussreich wie die Reden und Schriften vor Ausbruch und während der Ausübung von Gewalt.
► Vom Mithras-Kult und Christentum
Nach dem Tode Jesu breitete sich das Christentum rasant über den Erdkreis aus. Ähnlich wie heute in den USA war dies eine Zeit der Neugeburt mächtiger und bildstarker Religiosität. Gegen starke Rivalen setze sich das Christentum am Ende durch.