Neu im Catch-up Service: "Nicht mal ich bin Stalin"


Prof. Dr. Jan Plamper über Emotionsgeschichte und Personenkult
Ein dynamisch in Entwicklung befindliches Gebiet der Geschichtswissenschaften ist die Emotionsgeschichte. Die Gefühle und ihre Benennungen, auch ihre Dominanzen, haben ein Eigenleben. Zorn, Autorität, Werte wechseln in jeder Generation ihre Bedeutung. Dies ist von großer Wichtigkeit, wenn man den Stalin-Kult und den Führer-Kult, also gesellschaftliche Artefakte der Propaganda, untersucht, in die – auch wenn diese Bilder künstlich hergestellt wurden und man den Mechanismus analysiert – gewaltige emotionale Bindungen der Menschen selber eingegangen sind.
Prof. Dr. Jan Plamper, Historiker an der University of London und Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, hat diese Zusammenhänge in seinem Buch über den Stalin-Kult dargestellt. Er vergleicht darin auch die andersgelagerten, aber ebenso aus politischer Absicht von oben und emotionaler Bindung von unten entstandenen Kulte um Adolf Hitler und den Duce Mussolini, wiederum bei genauer Betrachtung zwei höchst verschiedene gesellschaftliche Produkte.
Wer Stalin als Mensch tatsächlich war, ist nicht mehr festzustellen. Seine Taten, die Propagandamaschine und die mit der Stalin-Zeit verbundenen lebensgeschichtlichen Vorstellungen der Menschen haben den authentischen Mann vollständig überlagert. Er selbst hat offenbar diese Differenz gesehen. Als er einen seiner Söhne betrunken vorfindet und ihn zurechtweist, weil er sich bei seiner Festnahme auf den Namen Stalin berief, sagt der Diktator: „Nicht einmal ich bin Stalin“.
Begegnung mit dem Historiker Dr. Jan Plamper.
Spannend und informativ.
► „Nicht mal ich bin Stalin“ (News & Stories, Sendung vom 06.05.2015)


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► Lebertran für den Geist
lebertran-geistDie Theorie von Marx und die revolutionären Forderungen nach 1917 waren materialistisch. Kein Glauben an spirituelle Kräfte, Vertrauen auf die materielle Produktion und die Ökonomie. Man sollte also annehmen, dass es sachlich und nüchtern vor sich geht.
Tatsächlich gibt es eine Fülle von Projekten zur Entwicklung des Neuen Menschen, die mit spirituellen und alchemistischen Methoden arbeiten. Es gibt das „Psichon, das bio-magnetische Medium“, das die Gesellschaft durchströmt, es gibt den „sowjetischen Äther“, das „Elektroauragramm des Gehirns“, Befehle in Gedanken, die die Massen ergreifen. In die Ferne wirkende Wünsche und fernsehgrafische Leidenschaften. Noch 1989 wird die mediale Ansteckung diskutiert. Ein Geisterreich, das Menschen verbindet. Dies alles mischt sich mit der Selbstbeobachtung und der von dem Arbeitszeitmesser Taylor, der für die Ford-Werke in den U.S.A. arbeitete, entwickelten Zerlegung der Arbeitsvorgänge zum Zwecke ihrer Optimierung. Sie wurde in der Sowjetunion begeistert aufgegriffen.
Die bunte Skala der Versuche, den Neuen Menschen in Russland zu entwickeln, beschreibt Wladimir Velminski von der ETH Zürich.


► Die Schule des Schwimmens für Herrscher
schwimmen-herrscherHerrscher und ihre Chronisten entwickeln Bilder, die den Charakter ihrer Herrschaft einprägen. So zeigt sich Mao Tse-tung als Schwimmer im Gelben Fluss. Das Bild ging um die Welt. Aber schon Karl der Große war im 9. Jahrhundert berühmt für seine Schwimmkunst und seine Hofhaltung in den warmen Bädern Aachens, wo er mit 100 Besuchern und Genossen stundenlang im Wasser schwamm oder lagerte. Das Attribut des Fließens, der ungewohnte Aggregatzustand, in dem es auf das Gewicht des Schwimmers nicht ankommt, hat eine starke Suggestiv- und Symbolkraft.
Diese und andere Ikonen und Propagandabilder hat Horst Bredekamp, Literaturwissenschaftler an der Humboldt Universität zu Berlin, zum Gegenstand einer fesselnden Publikation gemacht.


► Faces
facesDer Kulturwissenschaftler Hans Belting verfolgt in seinem neuen Buch „Faces“ die Phänomene Gesicht, Maske, Portrait, Foto und das Abbild des Gesichts in der Kunst auf subtilen und überraschenden Wegen.
Aus dem Gesicht eines Gegenübers versuchen wir abzulesen, wer die andere Person ist, worin ihre Wahrheit und ihr Wesentliches besteht. Tatsächlich sind aber von Anfang der Menschheitsgeschichte bis heute Gesicht und Maske untrennbar verschränkt. Das gilt für das Leben wie für die Kunst. Eine Geschichte des Gesichts ist deshalb immer auch eine Geschichte der Maske.


► Goethe und Napoleon
napoleon-goetheWährend des Kongresses von Erfurt im Jahre 1808 befand sich Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht. Fast hätte zu diesem Zeitpunkt ein Gleichgewicht in Europa entstehen können. In dieser besonderen politischen Situation traf der Kaiser den berühmten deutschen Dichter und Geheimrat GOETHE.
Dr. Gustav Seibt, Historiker und Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, über Napoleon, Goethe und den besonderen historischen Moment, in dem sie einander begegneten: Der Mann des Gleichgewichts (homo compemsator) und der geniale Macher (homo faber).
 


► Russlands Diana: Galina Starowojtowa
russlands-dianaBei Rückkehr in ihre Wohnung in St. Petersburg wurde Galina Starowojtowa, Abgeordnete der DUMA, von einem Killer-Kommando mit Maschinenpistolen erschossen. Die Täter warfen ihre Waffen fort und flüchteten.
Dem schwer verletzten persönlichen Referenten der Abgeordneten gelang es, mit dem Handy eine Agentur zu benachrichtigen. So wurden er und die ermordete Politikerin gefunden. Wenige Stunden später wurden die ersten Blumen vor die Haustür gelegt. Die Welle von Emotionen und Trauer, die Russland ergriff, überrumpelte das politische Establishment. Schlagartig schlossen sich die bis dahin verfeindeten demokratischen Parteien zu einer Allianz zusammen. Die Tat wurde als Putschversuch interpretiert. Man kann nämlich nicht nur mit Panzern, sondern auch durch Terror putschen, sagt der Politiker Grigorij Jawlinskij.
Trauerfeier und Beerdigung fanden als Staatsakt unter massenhafter Beteiligung der Bevölkerung statt. Die Bilder erinnern an den Abschied, den Großbritannien von Diana nahm.