Heute Abend im TV: Die zwei ägyptischen Krokodile (29.06.2015, 0:30 Uhr bei 10vor11 auf RTL)

Primitive Diversity Pictures
Primitive Diversity ist die Bezeichnung für die sogenannte „einfache Vielfalt“, nämlich die Bilderwelten, die dem Kino unmittelbar vorangingen. Das war vor allem die Laterna Magica: phantasiereiche Darstellungen, gemalt, in einem Rundkasch für Bildwerfer-Apparate, die diese Bilder vergrößert an die Wand warfen. Das hat hohe erzählerische und ästhetische Reize und ist keineswegs nur etwas für Kinder.
Im Beispiel von den zwei ägyptischen Krokodilen trifft ein ägyptischer Händler zwei Exemplare dieser Tiergattung. Er trägt sie zum Markt. Sie führen miteinander Zweikämpfe vor. Die Zuschauer sind begeistert. Am Schluss fressen die Krokodile den Händler. Die Geschichten sind vielfältig. Sie reichen von bekannten Romanen wie „Robinso Crusoe“ bis zu originellen Neuerfindungen wie die „Sintflut in der Wohnstube“. Geschichten wie Dr. Hoffmanns „Struwwelpeter“ sind in Art und Zeichnung mit den Laterna-Magica-Phantasien eng verwandt.
Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Sprenger, Universität Konstanz, über die Bilderwelten der „primitive diversity“.
 
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► Napoleons Josephs-Komplex
sprenkler1Eine Truppe jugendlicher Soldaten und Wissenschaftler, hochbegabt und hochhysterisch, zieht 1798 aus, die Welt zu erobern. Zunächst wird Ägypten besetzt. Ein weiterer Marsch nach Konstantinopel oder Indien ist geplant.
Anführer dieser militärischwissenschaftlichen Truppe ist der junge General Bonaparte, genannt „Weltgeist zu Pferd“. Er gilt als Kampfmaschine der bürgerlichen Intelligenz und des Glaubens an die Mavhbarkeit. S. Freud hat am Beispiel des Ägyptenfeldzugs diesen Charaktertyp analysiert. Er sagt: Napoleon hat keinen Ödipus-Komplex, sondern einen Josephs-Komplex: Er steht im Wettbewerb mit seinen Brüdern so, wie es der biblische Josephs in Ägypten in der Josephs-Legende erlebt hat. Die Romanistin Ulrike Sprenger berichtet nach der Quellenlage. Es geht um 1798/99, eine merkwürdige Jahrhundertwende: „In drei Jahren geschieht mehr, als in einem ganzen Jahrhundert…“.


► Begehren, das die Welt regiert
sprengler2Es gibt keine Objektivität jenseits des Begehrens. Das ist der Hauptsatz des antiken Dichters Ovid („Metamorphosen, die Liebeskunst“). Das sagt genauso der Erfinder des Romans des 20. Jahrhunderts, Marcel Proust: Alles öffentliche Geschehen löst sich bei näherer Betrachtung in Liebesgeschichten auf.
Die Verfasserin des Proust-ABC, Prof. Dr. Ulrike Sprenger, stellt die scheinbare Subjektivität des Sünders Clinton in die Perspektive Prousts („Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“) und Ovids.
 


► Ein Rettungsboot namens Bildung
sprengler3Zu den beliebten Kinderbüchern gehört die „Hasenschule“. Tatsächlich aber gibt es Bildung und Institutionen des Lernens nur in menschlichen Gesellschaften. Der lateinische Begriff für Bildung heißt „Eruditio“: aus dem rohen Holz eine Form herausarbeiten. Dies entspricht einer früheren Vorstellung von Pädagogik. Die modernere Vorstellung hält dem entgegen: Es ist besser, von den Kindern zu lernen. Deren Natur ist reicher als jede Erziehung sein kann. Man soll nicht das Alte einprägen, sondern eine neue Welt entwickeln, heißt es, bei Pestalozzi und bei Rousseau.
Die Romanistin Prof. Dr. Ulrike Sprenger, Verfasserin des Proust-ABC, über das „Rettungsboot namens Bildung“.