Die Geschichte der Menschen vor Entstehung der Schrift, 2.Teil:
5 Millionen Jahre Geschichte der Menschheit.
Es geht um die Evolution des menschlichen Gehirns. Physiologisch sind die Gehirne des frühen Homo Sapiens in Afrika etwa die gleichen wie die unseren heute. Anfangs sind es jedoch vermutlich noch keine „sozialen Gehirne“, die eine dem Menschen autonom gegenüberstehende Natur und das Denken im Kopf des Anderen wiederspiegeln. Der Fortschritt verläuft auch nicht linear. Vor allem gibt es die sog. „ökologische Bremse“, im Süden des Niltals (und andererseits in bestimmten an die See grenzenden Gebieten Grönlands) war das Nahrungsangebot so paradiesisch und derart ohne viel eigenes Zutun erlangbar, dass sich die Weiterentwicklung der dortigen Menschen verzögerte. Not dagegen machte stets erfinderisch und führte zu neuen Sprüngen der Entwicklung.
Fortschritte wie die Sesshaftigkeit waren dabei oft ambivalent. Zwar ergaben sich mehr Nachkommen, aber die Gefährdung durch Infektionskrankheiten nahm zu. Zunehmende Komplexität des sozialen Netzes geht einher mit Opfer-Riten und ist oft verschränkt mit Barbarei. Am Grunde der Zivilisation findet sich auch Grausamkeit.
Alle diese Entwicklungen zum modernen Menschen kommen aus Afrika. In extrem langen Zeiten, bei denen 1000 Jahre nur einen kurzen Moment darstellen, verbreitet sich der moderne Mensch über alle Gelände des Planeten.
In der monumentalen Arbeit von Hermann Parzinger mit dem Titel DIE KINDER DES PROMETHEUS erhält man einen plastischen Eindruck wie nah an uns heutigen Menschen und zugleich wie fern jene lange dunkle, aber oft auch hellsichtige und durch Erfindungen beleuchtete Geschichte der Menschheit ist. 5 Millionen Jahre wie ein Tag. Unsere Vorfahrin Lucy, die in den äthiopischen Bergen zur Halbzeit lebte, war nicht viel größer als ein Meter. Es löst Phantasie aus, wenn man sich die Folge von über 80.000 Generationen, jede mit Geburt und Tod, vorstellt, die alle gelebt haben, gewandert sind, Rückschritte und Fortschritte erlebt haben und schließlich in unseren Zellen weiterleben. Davon handelt die Archäologie. Sie ist eine starke Form der Geschichtsschreibung, eine Philologie, die nicht mit Wort und Schrift, sondern mit Spuren umgeht.
Die vorliegende Sendung ist der zweite und abschließende Teil der Begegnung mit Hermann Parzinger und seiner grundlegenden Untersuchung.
Spannend und informativ.
► Die Kinder des Prometheus (News & Stories vom 04.03.2015)
Sehen Sie auch Teil 1 des Gesprächs mit Hermann Parzinger auf dctp.tv
► Bevor der Mensch die Schrift erfand
Die frühesten Spuren unserer Vorfahren, die die Prähistoriker und Archäologen fanden, stammen aus der Zeit vor 7 Millionen Jahren. Eine gewaltige Zeitspanne reicht bis zur Erfindung der Schrift in den frühen Hochzivilisationen am Nil, in Mesopotamien, am Indus und in China. Wir aktuellen Menschen tragen diese Geschichte in uns. Wir sind „Kinder des Prometheus“. Auch wenn es sich um eine für uns schwer vorstellbare Zeitspanne handelt, findet die Entwicklung in markanten Sprüngen statt.
Einer dieser Sprünge ist gekennzeichnet durch die Erfindung des Feuers. Unsere Vorfahren konnten dadurch nicht nur Speisen für den Magen verträglicher machen, also kochen, sie durch Räuchern haltbar machen, sondern das Feuer erleuchtet erstmals die Nächte, um das Feuer herum beginnt das Erzählen. Die Höhlenmalereien werden später zu ersten Schüben der Hochkunst.
Die frühen Menschen gehen dazu über ihre Toten zu begraben, beschäftigen sich mit dem Jenseits. Es entstehen Versammlungsplätze für Ritualfeste. Kooperation und Gruppenbildung sind Errungenschaften, die später Sesshaftigkeit und kulturelle Komplexität nach sich ziehen. Erste Maschinen wie die Speerschleuder, kooperative Jagdpraktiken, Domestizierung von Tieren, z.B. des Ur-Hunds, der Schafe und des Rinds bilden Stationen.
Im gesamten Zeitraum ist die Entwicklung des Homo Sapiens, von dem wir abstammen, und der wiederum vom Homo Erectus sich ableitet, charakterisiert durch eine enge Verbindung zwischen Hand und Gehirn. Der aufrechte Gang setzte die Hände frei. Sie sind künftig dazu da, sich im Fluchtfall zärtlich in die Mutter einzukrallen, sie werden zur Arbeit tauglich: die Fingerspitzen sind so individuell wie das, was in den Köpfen der Menschen sich abspielt.
In der Sage vom Prometheus und dessen schusseligen Bruder Epimetheus berichten die Mythen davon, dass alle Tiere und Naturwesen spezielle Eigenschaften erhielten. Nur der Mensch wurde vergessen. Er wird geboren als Mängelwesen, ohne Raubtiergebiss, nackt und für den Überlebenskampf weniger geeignet als viele andere Tiere. Aus diesem Mangel heraus entwickelten sich seine Eigenschaften. Sie sind reich. Die Anker dieser Errungenschaften liegen weit zurück in den Zeiten, in denen es noch keine Schrift und somit keine Chroniken gab.
Prof. Dr. Hermann Parzinger hat in seinem Buch DIE KINDER DES PROMETHEUS diese lange Periode der menschlichen Evolution auf etwa 900 Seiten beschrieben. Ein Standardwerk. Hermann Parzinger ist zugleich Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, einer Behörde von 2.000 Mitarbeitern, die u.a. für das künftige Humboldt-Forum in der Mitte Berlins verantwortlich sein wird.
Begegnung mit Herrmann Parzinger, aber auch der fesselnden Geschichte unserer unmittelbaren Vorfahren.
Spannend und informativ.
–> Bevor der Mensch die Schrift erfand (1. Teil des Gesprächs im Magazin)
Literaturempfehlung
Die Kinder des Prometheus: Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift
Hermann Parzinger, international renommierter Prähistoriker und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bietet erstmals ein weltgeschichtliches Panorama der Frühzeit – einen wahrhaft atemberaubenden Überblick von den Anfängen der Menschwerdung vor 5 Millionen Jahren bis zur Entstehung der frühen Hochkulturen vor wenigen Jahrtausenden. Hermann Parzinger verfolgt in diesem monumentalen, reich mit farbigen Abbildungen und Karten ausgestatteten Werk die Spuren des Menschen vom Australopithecus zum Homo sapiens. Er begleitet ihn auf seinem Weg durch alle Weltteile – von dessen Urheimat Afrika über Europa und Asien bis in die Inselwelt der Südsee und auf den amerikanischen Doppelkontinent. Stets nimmt er sich Zeit, die Einflüsse von Klima und Umwelt auf unsere Vorfahren zu erläutern und ihre bewundernswerten Anpassungsleistungen zu würdigen – der Eiszeitjäger in Europa wie der Reisbauern am Yangtse, der Bisonjäger in den Great Plains Nordamerikas wie der frühen Hirsebauern in der Sahelzone. Er beschreibt die Kunst der Höhlenmaler von Lascaux ebenso wie die Felsbilder der Aborigines oder die ersten Großskulpturen in den Anden. Aber er widmet sich auch den Anfängen von Eigentum und Herrschaft, von Totenkult und Jenseitsglauben in den verschiedenen Kulturräumen der Erde. So ist ein eindrucksvolles Buch entstanden, das angesichts des Entstehens und Vergehens zahlloser Menschheitskulturen helfen könnte, den modernen Menschen Demut zu lehren.
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Sehen Sie dazu auch auf dctp.tv:
► Feldforschung im Schimpansenwald
Vor 6 Millionen Jahren trennten sich die Entwicklungslinien von Menschen und Schimpansen. Mit Erstaunen hat die Feldforschung jetzt Werkstätten und Werkzeuge von Menschenaffen von vor 4 300 Jahren entdeckt. Kriegsführung einerseits und Kooperation und Solidarität andererseits sind kulturelle Eigenschaften unserer nahen Verwandten. Prof. Dr. Christophe Boesch, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und gleichzeitig aktiver Feldforscher in Afrika, berichtet.
► Die Entstehung der Zivilisation
Dass sich einander fremde Menschen auf engem Raum vertragen, gilt als Anfang der Zivilisation: 26 Sequenzen skizzieren das Prinzip Stadt von den in den ältesten Mythen mit dem Paradies verglichenen Megastädten Uruk und Babylon über den Terror von Aššur bis zur „Stadt in uns“.
► Vom Lachen und dem aufrechten Gang
Die Gesichter von Affen und Menschen besitzen 50 Muskeln. Sie sind nötig für Mimik, das Lachen und das Weinen: 60 Millionen Jahre Evolution waren nötig, um diese Eigenschaften, die für die Bildung von Gesellschaften Voraussetzung sind, zu entwickeln. In einer langen Zeitspanne entstand auch der aufrechte Gang. Der Biologe Prof. Dr. Carsten Niemitz, Freie Universität Berlin, hat Forschungen vorgelegt, die darauf hindeuten, dass der aufrechte Gang vor allem dadurch begünstigt wurde, weil Menschen ursprünglich ihren evolutionären Vorteil in der Zone zwischen Wasser und Land suchten. Sie waren Ufertiere.
► Der Tango der Verantwortung
Der Arzt und Biologe Humberto Maturana von der Universität Santiago ist einer der Väter der modernen Systemtheorie. Er befasst sich mit den 3 Millionen Jahren, in denen die Menschen sich in ihrer gemeinsamen Art und Weise, Erfahrungen zu machen, eingerichtet haben. Liegt dieses Gemeinsame im Gehirn, in den Körpern, in der Umwelt, in der Sprache? Es ist fesselnd, wie Humberto Maturana die Fähigkeit Verantwortung festzumachen, aus der Vorarbeit von 300 000 Generationen ableitet. „Der Tango der Verantwortung“ lautet in seinem spanischen Originaltext: „Jawohl, Herr Sergeant, ich trage die Mordwerkzeuge und alle Gemordete in einem Koffer mit mir, ja, ich stehe zu meinen Taten!“
► Drogen des Fortschritts
Ursprünglich waren wir Menschen Sammler und Jäger. Wie kam es dazu, dass die Menschen sesshaft wurden? Wie kam es, dass sie Siedlungen und Gemeinwesen errichteten?
Die Frage betrifft das Forschungsgebiet des Evolutionsbiologen Prof. Dr. Josef H. Reichholf. Er sagt: Aus Pflanzen entstanden erst die Rauschmittel, danach das Brot. In Amerika waren diese Koka-Blätter und Pilze, in Europa Gerste, Wein und Bier. Die Herstellung und Lagerung der berauschenden Substanzen erzwangen Sesshaftigkeit. Eine der Thesen Reichholfs lautet daher, dass die Gemeinwesen zu Anfang eine Euphorisierung des Gehirns brauchen. Rausch ist für den Zusammenhalt der Menschen noch wichtiger als Nahrung.
► Grabung nach den Anfängen der Zivilisation
Seit 1912 graben Archäologen in der Stadt Uruk, die der Zivilisation von Babylon noch vorausgeht. Jedoch ist Uruk so groß, dass bisher nur fünf Prozent der Stadt erforscht sind. Sicher ist bisher, dass hier die Schrift erfunden wurde, vielleicht auch das Rad und das Bier.
Um einen gesamten Überblick über die Stadt zu erhalten, bräuchten die Forscher 500 Jahre.