Herfried Münkler über den Großen Krieg 1914-1918
Es werden Pläne gemacht, etwas ganz Anderes kommt heraus als beabsichtigt. Oft ist es das Gegenteil der Absicht. Diese Paradoxie gehört zu den Haupteigenschaften eines jeden Kriegs, ganz besonders herrscht Paradoxie im Großen Krieg 1914-1918.
Das Standardwerk über den Ersten Weltkrieg, das Herfried Münkler schrieb, mit dem Titel DER GROSSE KRIEG, zeigt bestürzend aktuelle Zusammenhänge. Die Erfindung des Giftgaseinsatzes, eine der „Errungenschaften“ des Großen Kriegs, reicht bis zu Assads Giftgas in Syrien 2013. Das Problem Deutschlands und Österreich-Ungarns war das einer Mittelmacht. Je mächtiger sie ist (und das gilt wirtschaftlich und militärisch für das 1871 gegründete Deutsche Reich) desto mehr bringt sie alle umgebenden Mächte gegen sich auf. Sie isoliert sich und „wird eingekreist“ durch die eigene Wucht, nicht bloß durch die Absichten der Anderen. Dies, sagt Herfried Münkler, ist heute das Problem des aufstrebenden Chinas. Je mächtiger es in Erscheinung tritt, desto intensiver bildet sich dort im Umkreis die Gruppe der verbündeten Gegner, die Anschluss an die U.S.A. suchen.
Geschichte wiederholt sich nicht, so Münkler, aber Konstellationen und Strukturen kehren überraschend wieder. Die Gegenwehr Russlands gegen „Interventionen raumfremder Mächte“ in der Ukraine (als die Russland die EU, die NATO und die U.S.A. auffasst) erinnert den Historiker an die Monroe-Doktrin im 19. Jahrhundert, also die Abwehr, welche die Vereinigten Staaten gegen die europäischen Interventionen in der Nähe ihres Kontinents übten.
In dieser Hinsicht unterscheidet Münkler strategisches Lernen vom systemischen Lernen. Deutschland hat aus dem Ersten Weltkrieg nur eine Verbesserung seiner militärischen Beweglichkeit gelernt und die daraus im Zweiten Weltkrieg folgende Aggression bitter büßen müssen. Solches Lernen genügt nicht. Systemisches Lernen zeigt sich im Wiederaufbau nach 1949. Eine neue Realität wird angewählt und nicht an einer älteren neu gebastelt.
Herfried Münklers Darstellung des Großen Krieg ist reich an Erfahrung und aktuellem Bezug.
► Krieg ist ein Meister der Paradoxien – News & Stories, Sendung vom 27.07.2014
Von der DVD: Bilderwelten vom Großen Krieg
Aus der Schweiz / Von den Fronten / Aus dem Herzen (DVD)
Mit der DVD-Edition »Bilderwelten vom Großen Krieg 1914-1918« setzen NZZTV und dctp.tv ihre bewährte Zusammenarbeit fort. Mit der früheren DVD-Edition »Der Erste Weltkrieg. Kunst und Krieg. Die Abwesenheit von Kriegskunst« – einem zehnstündigen Programm – waren wir im Jahr 2010 sozusagen Pioniere. Damals interessierte sich die Öffentlichkeit noch wenig für jenen Krieg. Mit der neuen Edition, die keine Wiederholungen aus der ersten DVD-Edition enthält, bewegen wir uns auf dem Höhepunkt einer Aufmerksamkeitswelle. Dabei konzentrieren wir uns auf Bilderwelten – gleich ob die Bilder in Worten, Situationen, auf Postkarten oder im Bewegtbild festgehalten sind.
Mit den Publikationen von Christopher Clark (»Die Schlafwandler«), Gerd Krumeich (»Juli 1914 – Eine Bilanz«) und Herfried Münkler (»Der Große Krieg«) hat die öffentliche Debatte zum Ersten Weltkrieg 1914-1918 neue Akzente erhalten. Brisanter aber noch für die öffentliche Aufmerksamkeit sind die politischen Tagesrealitäten des Jahres 2014. Wer hätte noch vor Jahresfrist geglaubt, dass es um die Stellung der Ukraine zwischen den Mächten Russland, EU und den USA zu einem vehementen Konflikt kommt? Wenn auch die Besonderheiten, die Ursachen und der vermutliche Ausgang der Krise deutlich anders sind als 1914, ist doch die gleiche Überforderung der politischen Systeme aller Beteiligten zu beobachten. Überall eilt die Globalisierung in rasanten Schritten voran, die Staatskunst stolpert über einen lokalen Konflikt. Eine von diesem Konflikt betroffene Region ist Galizien mit der Stadt Lemberg (heute West-Ukraine), die bereits im Herbst 1914 Austragungsort einer Entscheidungsschlacht war. Als ob verborgene Krisen sich über 100 Jahre hinweg nur in andere Gestalten mutiert hätten und nunmehr neue Kontroversen produzieren. Wahrnehmbar erneut die Mischung aus Phrasen und Wirklichkeiten, authentischen und falschen Bildern wie vor 100 Jahren!
Will man im 20. Jahrhundert Epochen der Zeitgeschichte verstehen, sollte man sich an die »Bilderwelten« halten. Sie lügen anders und sagen anders die Wahrheit als das Gedruckte. Dieses Programm von etwa 180 Minuten wird als DVD vorgelegt, kann aber einem motivierten Publikum auch als Film in Museen, Theatern und Programmkinos vorgeführt werden. Es ist geeignet als Stimulator der Erinnerung für interessierte Menschen, von denen keiner physisch jene Zeit selbst erlebt haben kann, die doch ein so wichtiges »Laboratorium bitterer Erfahrung« auch für uns bleibt.
(Heinz Bütler / Alexander Kluge)
„Bilderwelten vom Großen Krieg 1914 – 1918”
Will man die Zeitgeschichte verstehen, sollte man sich an die Bilderwelten halten. Sie lügen anders und sagen anders die Wahrheit als das Gedruckte.
Extras:
Begleitheft zur DVD mit Texten von Valentin Groebner, Alexander Kluge und Peter Pfrunder + fünf Postkarten-Nachdrucke von der „Schweizer Grenzbesetzung“
DVD,
PAL, 16:9, Dolby Digital 2.0,
180 Min.,
Deutsch
Zu Bestellen bei: absolut MEDIEN
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„Alexander Kluge ist mit Filmen berühmt geworden, die Fakten und Fantasie, strenge Wissenschaft und größte Subjektivität miteinander mischen. Nun präsentiert er einen großen Essayfilm über den Ersten Weltkrieg in Berlin.“
–> Christian Schröder im Tagesspiegel
Sehen Sie dazu auch auf dctp.tv
► Kurzschluss 1914
Etwa ab dem Jahr 1895 entwickelten sich die Industrien und die Märkte in rasanten Schritten zu einer globalen Welt. Von ihr wurden die Realitäten bestimmt. Die politische Organisation in Nationen entsprach dieser Wirklichkeit nicht mehr. Die Politiker aller beteiligten Länder waren diesem Veränderungs-prozess nicht gewachsen, sie fühlten sich verunsichert. Daher antworteten sie auf die Lage indem sie sich auf die schematischen Rezepte der Vergangenheit stützten: Bluff, Drohkulissen, Militär. Die Realwelt war im Juli 1914 durch eine virtuelle Welt ersetzt, in der Pläne und Entschlüsse eine Rolle spielten, denen in Wirklichkeit nichts entsprach.
Jede der großen Mächte suchte sich ihren Wunschgegner. Es entwickelten sich „lauter falsche Kriege“. Zeit gründlich nachzudenken und subtil zu verhandeln hatte niemand. So kam es zum Crash.
Prof. Dr. Jürgen Angelow, Potsdam, über den extremen Zeitdruck in der Juli-Krise.
Spannend und informativ.
Der Weltkrieg von 1914 bis 1918 enthält, wie ein Laboratorium, die Erfahrung darüber, wie ein ganzes Jahrhundert durch einen Zivilisationsbruch entgleist. Wer sagt uns, dass das 21. Jahrhundert nicht ebenfalls entgleisen kann? Eventuell aus anderen Gründen als 1914?
► Der Erste Weltkrieg auf dctp.tv (32 Filme)
–> Der Erste Weltkrieg (Magazinbeitrag)