Premiere: Das Neue Alphabet am 10. Januar 2018, Haus der Kulturen der Welt, Berlin

VON ZETT BIS OMEGA
Für die Premiere des Programmes Das Neue Alphabet am 10. Januar 2019 hat das HAUS DER KULTUREN DER WELT dctp.tv unter Leitung von Alexander Kluge mit der Ausgestaltung beauftragt.
Angesichts einer zunehmend digitalisierten Welt gestaltet Alexander Kluge einen Abend zu dem, was sich den alphabetischen, molekularen, algorithmischen Sichtweisen der Welt entgegenstellen lässt: Aus der Perspektive der Insel, des Zirkus, der Alchemistenküche nähern sich die Beiträge den Elementen des menschlichen Ausdrucks – denjenigen vor der Erfindung der Schrift, jenen der Schriftlichkeit und der Digitalität. Eine Art begehbares Theater im ganzen Haus bildet eine Wunderkammer des 21. Jahrhunderts: mit Minutenopern und Filmen, mit Buchstaben als Lebewesen und einer Live-Schaltung in die Antarktis, mit Musik, künstlerischen Interventionen und wissenschaftlichem Diskurs – ein Babylon, dessen Turm nicht zerfällt.
Mit Philip Banse (Journalist und Podcaster), Ann Cotten (Schriftstellerin), Steffi Czerny (Kuratorin), Lorraine Daston (Wissenschaftshistorikerin), Philipp Ekardt (Komparatist und Kunstwissenschaftler), Katja Gentinetta (politische Philosophin), Beatrice Gründler (Arabistin), Harald Haarmann (Sprach- und Kulturwissenschaftler), Andrej Heinke (Zukunftsforscher), Hannelore Hoger (Schauspielerin), Ernst Kausen (Mathematiker und Sprachwissenschaftler), Alexander Kluge (Filmemacher und Autor), Sybille Krämer (Philosophin), Johannes Krause (Archaeogenetiker), Ben Lerner (Autor), Dirk von Lowtzow (Musiker), Christoph Markschies (Theologe und Kirchenhistoriker), Christoph Menke (Philosoph), Andrea Moses (Opern- und Schauspielregisseurin), Hans Ulrich Obrist (Kurator), Hermann Parzinger (Archäologe und Prähistoriker), Nahed Samour (Rechts- und Islamwissenschaftlerin), Peter Schäfer (Judaist), Max Senges (Forschungsbeauftragter bei Google), Richard Sennett (Soziologe), Helge Schneider (Musiker und Komiker), Sir Henry (Musiker), Christoph Streckhardt (Geisteswissenschaftler), Thomas Thiede (Künstler), Rosemarie Tietze (Übersetzerin), Joseph Vogl (Philosoph und Literaturwissenschaftler), Studierende der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch sowie der Universität der Künste Berlin. u. a.
Moderiert von Alexander Kluge, Bernd Scherer (Intendant HKW) und Julia Voss (Kunsthistorikerin)
► VON ZETT BIS OMEGA
Donnerstag, 10.01.2019 16:30h — 0h, Eintritt frei
Ausstellungshalle 1, Vortragssaal, Foyer und Auditorium
Mit freundlicher Unterstützung des Haus der Kulturen der Welt.


Sehen Sie dazu auch auf dctp.tv:

► Wenn ich auf dem T-Träger balanciere
Vor großem Publikum mit vielen musikalischen Einschüben: der beliebte Allround-Künstler Helge Schneider, mitten im Kontext der bildenden Künste. Im Höhenflug als Frisör, als Musiker und als „Kriegsminister im Pyjama: ratlos“.
Seine besondere Vorliebe gilt dem Drahtseilakt. An der Spitze der Wolkenkratzer über New York geht es darum, auf dem gespannten Seil weder rechts noch links herunter zu fallen. Das musste ein Bauarbeiter wie Helge erst noch lernen: auf dem T-Träger zu balancieren ist noch riskanter als bloß auf dem Seil! Ausschnitte aus einem fulminanten Abend im voll besetzten KEO-Saal in Essen.
 


► 7.500 vor Christus
Die Spuren von Alt-Europa reichen weit zurück: bis 7.500 Jahre vor Christus und noch weiter. Sie finden sich am Schwarzen Meer und auf dem Balkan um 1.000 Jahre früher als in Anatolien und Mesopotamien. Es handelt sich um das RÄTSEL DER DONAU-ZIVILISATION. Hier liegt der Ort der Sintflut, das Goldene Zeitalter und die Erfindung der Schrift. Der renommierte Sprachwissenschaftlicher und Archäo-Mythologe Prof. Dr. Harald Haarmann, Helsinki, hat diese Donau-Zivilisation erforscht.
 


► Meine Katze jungt stets auf einer schneeweißen Decke
Die beliebte Schauspielerin Hannelore Hoger entwickelt in diesem Doppelprogramm die Vielfalt ihrer Eigenschaften.
Wir sehen Hannelore Hoger als Gorillaforscherin im Regenwald, als Napoleon, als Elefantenwäscherin, als hochadlige Chefin eines Kriegslazaretts in Jerusalem im Jahre 1917, als Chefin eines Zirkus, als Medientheoretikerin, als Souffleuse, als Trümmerfrau von 1945, als Polizeikommissarin im Weltraum, als Börsenastrologin und in weiteren Rollen. Außerdem singt sie Lieder.
Elefanten, berichtet sie, besitzen für ihre Babies eine spezielle Geburtsöffnung, nicht am Geschlechtsteil, sonder am Unterbauch. Das vermindert bei der Geburt die Fallhöhe zum Boden. Die Jungelefanten (bereits von einigem Gewicht) sollen auf kurzer Strecke weich zu Boden fallen. Eine sanfte Geburt ist auch bei Katzen üblich. In der Familie von Hannelore Hoger, erzählt die Schauspielerin, jungten die Katzen stets auf einer schneeweißen Decke im Kleiderschrank. Von daher stammt der Titel der Sendung.
 


► Philosophie der sinnlichen Kraft
Zur Frankfurter Kritischen Theorie zählen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Walter Benjamin und Jürgen Habermas. Von dieser Theorie gibt es inzwischen eine dritte Generation. Ein wichtiger Vertreter dieser neuen Generation ist Christoph Menke. Sein Lehrstuhl heißt: praktische Philosophie. Er befasst sich in gleicher Weise mit den Kräften im Menschen, die sich auf die Wahrnehmung und das Ausdrucksvermögen beziehen (Theorie der Ästhetik) wie auf die Kräfte, die sich auf Recht, Gleichheit und Befreiung richten (politische und praktische Philosophie).
Der Prozess der Freiheit, sagt Christoph Menke, wohnt der menschlichen Evolution inne. Er stützt sich auf einen Freiheitsdurst der Sinne selbst, also nicht bloß auf den Eigenwillen und dessen Zähmung. Sinneskräfte sind dabei nicht bloß Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen, also die fünf Sinne, sondern auch die gesellschaftlichen Sinne, deren Zahl nicht messbar ist. Alle diese Kräfte wetteifern in ihrer Tendenz zur Freiheit miteinander.
Die Ausdrucksvermögen der Kunst (das „Können“) und die Unruhe der sinnlichen Kraft sind hierbei die Motoren im Prozess der Freiheit. Christoph Menke spricht in seinen Publikationen von der „Souveränität der Kunst“ und von einer „politischen Philosophie nach Th. W. Adorno und Jacques Derrida“. Eine wohltuend praktische Richtung moderner Theorie.
 


► Geld und Charakter
Die Beziehung zwischen Reichtum und Geld auf der einen Seite und dem menschlichen Charakter auf der anderen Seite wird in den verschiedenen Jahrhunderten sehr unterschiedlich betrachtet. Im Mittelalter und der Neuzeit gibt es das Bild der soliden Bankiers (wie die Fugger), aber auch das des Geizhalses und des Wucherers. Die Melancholiker, in ihrer Abstinenz gegenüber dem Genuss, erscheinen als Gegenteil des Prassers und daher zu Geld und Verfügungsmacht über Reichtum zu passen. Die in der Literatur, den Lebensläufen und der öffentlichen Meinung um 1900 beobachteten Charaktereigenschaften sind davon verschieden. Der Soziologe Max Weber und der Philosoph Georg Simmel, der eine Theorie des Geldes schrieb, porträtierten neuartige Charaktere, die in Staat und Wirtschaft vorherrschen. Am Sockel reicher Familien gibt es aber auch die Dandys und die Spieler. Es entsteht der Typ, der das Spekulationsgeschäft beherrscht. Auf der anderen Seite sind die Gründer von Industrien und die Eisenbahnkönige durch das Objekt, mit dem sie umgehen, auf Charakterzüge der Kontinuität angewiesen.
Was sind Kennzeichen heutiger Charaktere, die mit Geld und wirtschaftlicher Verfügungsmacht umgehen? Sie sind, sagt der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl von der Humboldt-Universität zu Berlin, durch die Veränderungen der Raumwelten und vor allem der Zeitwelten auf unserem Planeten im 21. Jahrhundert geprägt. Auf die Fähigkeit, mit diesen kollektiven „Zeitschwingungen“ (als Beschleuniger oder Verlangsamer) umzugehen, kommt es für Führungskräfte an. Hier entscheidet sich ihre Modernität. Ein Problem liegt darin, dass an das Führungspersonal widersprüchliche Anforderungen gestellt werden, deren Erfüllung sich ausschließt. Hier treten, sagt Vogl, „Masken der Humanität“ an die Stelle des Charakters.
 


Mit freundlicher Unterstützung des Haus der Kulturen der Welt