Neu im Catch-up Service: FAUST von Gounod

Frank Castorf inszeniert an der Staatsoper Stuttgart
Frank Castorf, Chef der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, inszeniert die Oper FAUST in Stuttgart auf verblüffende Weise. Diese Oper aus dem 19. Jahrhundert wird gründlich entrümpelt. Das Bühnenbild und die Kostüme: heutiges Paris im Zeitalter der Attentate. Faust, anfangs ein herunter gekommener, zweiflerischer alter Mann, wird durch seinen Pakt mit dem Teufel – wie es Goethe und Gounod vorschreiben – in seine Jugend zurückverwandelt. Er überfällt die junge Margarethe mit seinem Liebesverlangen und stößt sie ins Unglück. Margarethe ist aber niemand, der sich auf diese Weise umbringen lässt. In der Rolle der Margarethe die hinreißende Mandy Fredrich.
Der legendäre Faustwalzer in einem ganz neuen Licht! Wenn er auf den Boulevards von Fallschirmjägern, Legionären und ihren lebensgierigen Geliebten getanzt wird. Text: „Wie der Wind den Staub aus der Ackerfurche weht, tanzen wir in den Himmel hinein“. Überraschend auch die „Hexen“ und die „Engel“ am Ende des Stücks. Die U-Bahn-Station heißt Stalingrad, Reklamen von neuesten Horrorfilmen und von Coca-Cola. Die Bühnenhandlung wird in großformatigen Filmaufnahmen übertragen. Ein ungewöhnlicher Grad von Intimität. Exakt passend zu der filigranen Musik von Gounod.
Mag Gounods Oper weniger modern sein als andere Faust-Opern wie die von Hector Berlioz und die von Ferruccio Busoni, so zeigt sie sich doch in dieser Regie und in der musikalischen Leitung von Marc Soustrot schlüssig und von enormem Schwung. Ein Opernerlebnis mit Ausnahmecharakter.
► FAUST von Gounod (10vor11, Sendung vom 13.03.2017)


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► Die Pissigkeit und das Unverwechselbare
DÄMONEN – böse Geister, heißt der moderne Roman von Dostojewski, der prophetisch die Charaktere vorführt, die das 20. Jahrhundert bestimmen werden. Der Roman hat den In-tendanten und Regisseur Frank Castorf so beeindruckt, dass er ihn in seiner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin als großes Theaterstück herausbrachte. Jetzt hat er den Stoff in einem 3-Stunden-Spielfilm umgesetzt. Unverwechselbar und rücksichtslos wie es die Art dieses Regisseurs ist.
Man kann über das Unflätige, die „Pissigkeit des Ganzen“ nicht sprechen, sagt Castorf, wenn man nicht auch das Besondere und Unverwechselbare darstellt. Darin liegt die Schönheit.


► Lernen & Liebe in einem Meer von Krieg
Im November 1725 sandten französische Siedler aus Illinois den Häuptling Arapita Chicago (nach ihm wurde später die Stadt in den USA benannt) und fünf andere „Indianer“ nach Paris. Dort trafen sie den König Louis Quinze. Am Abend tanzten sie im Théatre-Italien. Das inspirierte Jean-Philippe Rameau zu seiner Tanzoper „Les Indes Galantes“. Rameau komponiert verblüffend radikal und modern.
Der Chef des Koninklijk Ballet van Vlaanderen aus Belgien hat Rameaus Ballettoper mit größtmöglichem Schwung auf der Bühne des Prinzregententheaters für die Bayerische Staatsoper in einen musikalischen Höhepunkt verwandelt. Auch die Opernsänger müssen tanzen.
Die Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat die großen Tableaus nach den Phänomen LERNEN, LIEBE, KRIEG angeordnet. Lernende Kinder sind dabei das Berührendste.
Überall rüttelt der Krieg, dargestellt durch seine Göttin Bellone am Glück und am Lerneifer. Krieg lernt und lehrt überhaupt nichts. Wie man den richtigen Liebsten finden, das lernt man – komponiert von Rameau für das aufklärerische 18. Jahrhundert – in Dreiecks- und Vierecksverhältnissen.
1. Akt: der großzügige Türke. Osman Pascha, ehemals Sklave und jetzt Sultan, liebt die junge Emilie. Da diese aber den jungen Valère vergöttert, lässt der Türke die Liebesleute davonziehen. (Genau dieses Modell Rameaus hat später Mozart in der „Entführung aus dem Serail“ abgekupfert.)
2. Akt: bei den Inkas in Peru. Mit Erdbeben, Krieg, Mord und glücklichem Ausgang in einem Liebesdreieck. Der Zauberer und Tyrann Huasca (Bass) stirbt am eigenen Fluch.
3. Akt: in den Gärten Persiens. Hier geht es um ein Vierecksverhältnis. Wieder werden Sklaven zu Prinzen und Prinzen zu Liebessklaven.
4. Akt: bei den Indianern in Amerika. Der schöne Sopran zieht einen „Wilden“ zwei Europäern vor, weil der eine ihr zu skrupellos und der andere ihr zu moralisch ist.
Das Finale mit der stampfenden, berühmten Chaconne aus dieser Aufführung wird man nicht vergessen.
Es geht um den Export der Phantasie in alle Länder der Erde. Dass überall ein Meer von Krieg herrscht, bringt Rameau nicht davon ab, dass Jugend, die Liebe und vor allem lerneifrige Kinder siegreich bleiben.
Der belgische Regisseur und Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui stammt aus einer Einwandererfamilie aus Marokko. Er spricht flämisch und französisch. In seiner Herkunft und Tanzpraxis verkörpert er die Kommunikation zwischen extrem verschiedenen Kulturen, mit der auch Rameaus Meisterwerk spielt.


► Das Mädchen mit dem Kavalier im Kopf
Die Handlung der letzten Oper des Genies Vincenzo Bellini, bevor er im Alter von 34 Jahren starb, spielt in England in der Zeit der Puritaner. Die Puritaner sind eine religiös-sektiererische Massenbewegung, die so viel Macht hatte, zwei Königen das Haupt abzuschlagen: gegen alle Sinnlichkeit eingestellt, fanatisch, in erotischer Hinsicht grau.
Ein junges Mädchen aus solchem puritanischen Vaterhaus liest gern Romane, wie sie später Sir Walter Scott und Alexandre Dumas im romantischen Zeitalter, dem Bellinis, dichteten. Sie träumt von Helden wie den Drei Musketieren und von einem prachtvollen, königstreuen Kavalier. Überraschend wird sie mit einem solchen Helden verlobt.
Dann aber muss sie glauben, ihr Liebster habe sie verlassen. Er ist tatsächlich königstreu und mit der Rettung der Königinwitwe beschäftigt und von der Bildfläche verschwunden. Das junge Mädchen verfällt in Wahnsinn.
Die Oper Bellinis ist mit den wohl schönsten Melodien Italiens ausgestattet. Mit Hilfe solcher Musik siegt am Ende die Liebe. Die in Chor-Ensemble-Szenen dicht integrierten Melodien führt die liebenden Träumer – gegen alle Wahrscheinlichkeiten des Lebens – sicher durch alle Verletzungen und Gefahren ihrer unerbittlichen Zeit.
Die tragische Pointe der hinreißenden Stuttgarter Inszenierung liegt darin, dass zuletzt das Mädchen und ihr Kavalier selber im grauen Kleid der Puritaner im Kreise der Gemeinde einher marschieren.
In der Rolle des Mädchens: der einzigartige Sopran Ana Durlovski. Regie: Jossi Wieler und Sergio Morabito. Musikalische Leitung: Giuliano Carella, Manlio Benzi.