Neu im Catch-up Service: Psychotechnik und Avantgarde


Alles kommt auf den Prüfstand: Russische Revolution 1917
Die russische Revolution bedeutete für die Avantgarde eine Stunde Null. Das Schwarz im legendären Quadrat von Malewitsch war offen für alle Farben. Es durchbricht die Anbetung des Lichts und wendet sich gegen die „Tyrannei der Sonne“. Der Architekt Nicolai Ladovsky gründete ein Laboratorium, in dem die Fähigkeiten des Wohnens, des Sehens, des Bauens und des Zusammenlebens neu auf den Prüfstand gestellt wurden. Der neue revolutionäre Mensch braucht renovierte Sinne. Dem Architektenkollegen Corbusier, der während seines Moskauaufenthalts gastweise sich in Ladovskys Laboratorium testen ließ, wurde mangelndes architektonisches Sehen und eine falsche Auffassungsgabe was Räume betrifft bescheinigt.
Ganz anders die Arbeiten des jungen Filmregisseurs Wsewolod Pudowkin, der seinen ersten Film über das Institut des Physiologen Pawlow und dessen Hundeversuche machte. Wiederum ganz anders war der Ansatz von Alexander Bogdanow, des Begründers der Proletkult-Bewegung, die zeitweise mehr Mitglieder aufwies als die bolschewistische Partei. Er propagierte die radikale Zusammenarbeit von Stadt und Land und die „Organisation gesellschaftlicher Erfahrung“. Er vertrat aber auch die „Sozialisierung des Blutes“. Der Gleichheit nähern wir uns erst an, wenn die älteren Menschen massenweise ihr „erfahrenes“, immunologisch gefestigtes Blut mit dem junger Menschen austauschen. Deren Blut wiederum bringt den Alten neue Kraft und Lebensverlängerung. Bei einem Selbstversuch in dieser Richtung starb Alexander Bogdanow aufgrund der Organabstoßung, die den menschlichen Immunkräften eigen ist.
Wie bei einer Explosion streben die Tendenzen der Avantgarde unmittelbar nach 1917 in alle Richtungen vorwärts und auseinander. Alles dieses Neue wird nach wenigen Jahren durch die aufkommende Bürokratie erstickt.
Die Osteuropaforscherin Dr. Margarete Vöhringer über die revolutionäre Welt unmittelbar nach 1917 in Russland.
► Psychotechnik und Avantgarde (10 vor 11, Sendung vom 07.11.2016)


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► Russland 1917
russland1917Wie für einen Besuch bei einem Zahnarzt im Gesicht vermummt fuhr Lenin am Vorabend des Staatsstreichs, der seine Partei für mehr als 70 Jahre an die Macht brachte, mit der Straßenbahn zu seinem Hauptquartier. Die Machtübernahme verlief auch sonst anders als man sie sich vorstellt. Die Bilder vom Sturm auf das Winterpalais sind Jahre später aus einem „inszenierten Massentheater“ und durch Filme erzeugt worden. Diese Bilder überlagern auch die konkrete Erinnerung der Teilnehmer. Der Systemwechsel von 1917 erfolgte wenig spektakulär. Er löste aber, vor allem durch die Umverteilung des Bodens und somit auf dem Lande eine nachhaltige Umwälzung aus, die dann tatsächlich zu einem REVOLUTIONÄREN UMBRUCH wurde. Nicht die Ereignisse in St. Petersburg, sondern diese Wende in den Lebenswelten macht die Substanz der russischen Revolution aus. Alle diese Bereiche des Umbruchs: die radikale Beendigung des Kriegs, die Bodenverteilung, der Kampf gegen den Analphabetismus, die Elektrifizierung, das Medizinalwesen, der Konstruktivismus in der Kunst – alle diese revolutionären Fragmente – haben ihre eigene Geschichte.


► Der Griff ins Schwarze
griff-schwarze300Was heißt Dada? Aus dem Schock der Materialschlachten des Ersten Weltkriegs entstand in Zürich, Berlin und Hannover eine radikale, respektlose und die traditionelle Kunst umstürzende Bewegung, die sich DADA nannte.
Mit seinem Buch LUSTMARSCH DURCH THEORIEGELÄNDE hat der Kulturkritiker, Inszenator und Künstler Bazon Brock diese Bewegung wieder in den Vordergrund gerückt. Im Kern, sagt Bazon Brock, geht es bei dieser Bewegung um den WIDERRUF DES MISSGLÜCKTEN 20. JAHRHUNDERTS. Für Dada sind Zukunft und Gegenwart schwarz. Mitten in dieses Verhängnis greift Dada mit der Waffe des Witzes.
Begegnung mit Bazon Brock und Dada.


► Tausche Waffenstillstand gegen Kunst
waffenstillstand-gegen-kunstIn den Jahren nach der Französischen Revolution, während der Feldzüge Napoleons und der dynamischen Industrialisierung in England beschleunigt sich die Zeitgeschichte. Parallel dazu sieht man, so schildert es Dr. Lothar Müller, wie sich die Kunstwerke in Europa beschleunigt in Bewegung setzen: Sie verändern ihre Orte. Von Athen gelangen die Statuen und Marmorreliefs nach London, von Rom gelangen die Kunstschätze der Renaissance und der Antike nach Paris. Als Beutekunst wird auch die Quadriga des Brandenburger Tors in die französische Hauptstadt verfrachtet. Bei jedem Waffenstillstand wird eine Kunstlieferung ausbedungen.
Dr. Lothar Müller, Autor und Redakteur im Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, hat im Rahmen des Wissenschaftskollegs zu Berlin diese Wanderungsbewegung untersucht. Er berichtet.


► Der mit den Bildern tanzt
button-der-mit-den-bildern-tanztDirekt neben einem Flugplatz in einem Vorort von Paris liegen die riesigen Hallen, in denen Anselm Kiefer an seinen Bildwerken arbeitet. Er lebt inmitten seiner Bilder. Neue Werke haben sich im letzten Jahr gehäuft. Kiefer nennt diese Ateliers sein „Arsenal“: seine Waffenkammer. Die großen Flächen seiner Bilder empfindet der Künstler als „Bühne“. Er malt, sagt er, nicht nur mit dem Kopf und den Augen, sondern mit dem ganzen Körper, mit den Muskeln, der Haut und allen Sinnen. Im Grunde „tanze ich meine Bilder“.
Wenn er in der Frühe aufsteht, greift er zunächst zu Büchern. An ihnen entzündet sich sein Kopf. Im Atelier stehen z. B. die zahlreichen Bände von Grimms Wörterbuch. Texte, Klänge und Bilder gehören für Kiefer zu einer Einheit.
Wie Menschen (und die Kunst, welche die Menschheit seit den Anfängen begleitet) beruht auf einem „Stau an Unwahrscheinlichkeiten“. Im Kosmos müssen drei Sonnen explodieren, damit die Materie entsteht, die wir in unseren Zellen täglich umhertragen. Noch unwahrscheinlicher war es, dass das Leben aus seinen Anfängen, über Katastrophen und Einschläge von Himmelskörpern hinweg, wie durch Nadelöhre den Weg durch die Krisen, die das Leben zeitweise fast ganz auslöschten, bis zu unserer Gegenwart fand. Mit diesen Zuständen und Rätseln der Evolution geht das Werk von Anselm Kiefer um.
Als junger Mann war Kiefer als Kellner tätig. Abends verspielte er in der Spielbank, was er verdient hatte. Neben dem Platz, an dem er arbeitet und jetzt berichtet, befindet sich eine Skulptur: Ein Hufeisen unter Glas, befestigt an einem seidenen Faden.
Wie malt man, dass sich die Götter der Antike derzeit aus der Ägäis entfernt haben? Wie würde man den Zentauren Chiron darstellen, von dem Hölderlins Gedicht handelt? Könnte man in Analogie zu Leonardo Da Vinci die Anatomie eines Kentauren skizzieren? An der Wand des Ateliers hängt das große Bild eines Gewässers. Auf das Bild ist ein Sperrgitter montiert. In der Mitte des Gitters zeigt sich ein Riss, durch den Riss fährt ein U-Boot. Das Sperrgitter stammt aus einem See bei Berlin und diente als Sperre, die Flüchtlinge aus der DDR am Überschreiten der Unterwassergrenze hindern sollte. Verblüffend ist die Nähe und Identität radikal verschiedener Erfahrungsbereiche in Kiefers Werk. Wissenschaft und Evolution, Geheimlehren (wie die des alchemistischen Dr. Fludd), Gegenwart, Geschichte, nur visuell fassbare Gebilde und literarische Texte, die von Ingeborg Bachmann über Hölderlin bis Heraklit zurück reichen, verbinden sich zu unverwechselbaren Einheiten. „Klugheit ist die Kunst, unter verschiedensten Umständen treu zu sein“. Das ist ein Satz Hölderlins, der sich ebenso auf die Antigone wie auf Sokrates bezieht. Anselm Kiefer prüft, ob man mit einem Bild auf solch einen Satz antworten kann.
Besuch bei Anselm Kiefer in Paris.


► Im Minenfeld der Geschichte
minenfeldAuf der MSC treffen sich jährlich Regierungschefs, Verteidigungs- und Außenminister, Militärexperten und Wirtschaftsführer von allen Kontinenten. Auf den Podien geht es um die Krisen der Welt und deren Lösung. Die Konferenz ist auch Gelegenheit für zweiseitige Gespräche und Verhandlungen. So fand hier am Vorabend eine wichtige Einigung zwischen den USA und Russland über den Friedensprozess in Syrien statt. Die Stimmung der diesjährigen Tagung war durch großen Ernst charakterisiert. In der Rede des russischen Premierministers Medwedew war die Rede von einem bereits ausgebrochenen NEUEN KALTEN KRIEG, der auch in einen heißen Konflikt übergehen könne. Eindrücke auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2016.