Neu im Catch-up Service: Wir schaffen eine neue Welt


Bernd Ingmar Gutberlet über gescheiterte Utopien
Immer wieder hat es in der Moderne des 20. Jahrhunderts innovative Projekte gegeben. Einige waren verrückt, bei anderen wünschte man sich, dass sie Wirklichkeit geworden wären. Der Kulturhistoriker Bernd Ingmar Gutberlet hat in einem spannenden Buch einige dieser gescheiterten Utopien untersucht. Zu seinen Beispielen gehört die internationale Kunstsprache des Esperanto, der Revolutionskalender in Frankreich und die 5-Tage-Woche im revolutionären Russland der 20er Jahre.
Es zeigt sich, dass die gewohnten Zeitrhythmen des Jahres durch die Politik wohl am schwersten verändert werden können. Die Umkehrung der sibirischen Flüsse, die sämtlich ohne industriellen Nutzen nach Norden zum Eismeer fließen, nach Süden, wo die Sonne ist und Bewässerung gebraucht wird, war lange Jahre das Ziel des sogenannten Dawydow-Plans. In der Mitte Sibiriens wäre dabei ein riesiges Meer entstanden. Man weiß bis heute nicht, ob dies eine ökologische Katastrophe oder ein Segen geworden wäre. Ein anderer Plan, der in Deutschland entwickelt wurde, von dem Erfinder und Ingenieur Dr. Sörgel, hat die Bezeichnung „Atlantropa“. Durch Austrocknung des Mittelmeers sowie einen gigantischen Damm bei Gibraltar und am Marmara-Meer sollte Neuland und eine Brücke nach Afrika geschaffen werden. Architekten wie Mies van der Rohe entwarfen Pläne für den Bau neuer Hafenstädte für dieses Projekt. Vom Kongo bis zum Nordkap sollte ein afrikanisch-europäischer Wirtschaftsraum geschaffen werden.
Mit diesen und anderen Plänen lehrt uns Bernd Ingmar Gutberlet das Staunen.
► Wir schaffen eine neue Welt (News & Stories, Sendung vom 24.06.2015)


Literaturempfehlung

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Grandios gescheitert: Misslungene Projekte der Menschheitsgeschichte
Atlantropa, Hitlers Breitspurbahn oder Esperanto – immer wieder schwingt sich die Menschheit zu Großem auf und greift mit ehrgeizigen Projekten nach den Sternen. Doch nicht alles führte zum Erfolg. Bernd Ingmar Gutberlet versammelt die spektakulärsten Geschichten des Scheiterns und zeigt die aberwitzigsten Großvorhaben aus Architektur, Technik und Kultur.
Die Vorhaben sind jedes für sich genommen einzigartig, manche bewunderungswürdig, andere größenwahnsinnig oder schlicht abscheulich – eine unterhaltsame Kulturgeschichte menschlicher Hybris.
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► „Weltbauen“, ein Architektentraum der Moderne
atlantropaAls Antwort auf die politische Katastrophe von 1918 und unter dem Eindruck von Oswald Spenglers DER UNTERGANG DES ABENDLANDES entwarf der Architekt Herman Sörgel eine gigantische, politisch-technische Architektur: die Vereinigung von Afrika und Europa zu einem einheitlichen Kontinent durch Absenkung des Mittelmeeres. Das Projekt hieß: Atlantropa. Es war die letzte Utopie des Abendlandes. Der Architekt und Stellvertretende Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt a.M., Dr.-Ing. habil Wolfgang Voigt, hat in einer eindrucksvollen Publikation diese großzügigen, utopischen aber nicht unrealistischen Planungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts porträtiert.


► Lebertran für den Geist
lebertran-geistDie Theorie von Marx und die revolutionären Forderungen nach 1917 waren materialistisch. Kein Glauben an spirituelle Kräfte, Vertrauen auf die materielle Produktion und die Ökonomie. Man sollte also annehmen, dass es sachlich und nüchtern vor sich geht.
Tatsächlich gibt es eine Fülle von Projekten zur Entwicklung des Neuen Menschen, die mit spirituellen und alchemistischen Methoden arbeiten. Es gibt das „Psichon, das bio-magnetische Medium“, das die Gesellschaft durchströmt, es gibt den „sowjetischen Äther“, das „Elektroauragramm des Gehirns“, Befehle in Gedanken, die die Massen ergreifen. In die Ferne wirkende Wünsche und fernsehgrafische Leidenschaften. Noch 1989 wird die mediale Ansteckung diskutiert. Ein Geisterreich, das Menschen verbindet. Dies alles mischt sich mit der Selbstbeobachtung und der von dem Arbeitszeitmesser Taylor, der für die Ford-Werke in den U.S.A. arbeitete, entwickelten Zerlegung der Arbeitsvorgänge zum Zwecke ihrer Optimierung. Sie wurde in der Sowjetunion begeistert aufgegriffen.
Die bunte Skala der Versuche, den Neuen Menschen in Russland zu entwickeln, beschreibt Wladimir Velminski von der ETH Zürich.


► Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt
eskommtandersIm Jahre 1910 wurde ein Buch herausgegeben, das die Welt im Jahre 2010 beschreibt. Berühmte Experten wirkten mit. Das Handy und der Kalte Krieg wurden richtig vorausgesagt. Dass vier Jahre später der Erste Weltkrieg das Geschehen abrupt unterbricht, nahm keiner an.


► Die Kunst der Niederlage
kunst-niederlageWenn im Asymmetrischen Krieg eine Drohne, ferngeleitet, einen vermutlichen Terroristen in Somalia tötet, gibt es keine Chance der Kapitulation. Sie ist auch für die Kellerinsassen in einer Stadt, die von Bombengeschwadern angegriffen wird im Moment unmöglich. Auch Snowden wüsste nicht, wie und vor wem er, in die Enge getrieben, kapitulieren könnte. Er kann nur verurteilt werden oder flüchten.
Kapitulation ist in der Menschheitsgeschichte keine Selbstverständlichkeit. Wie der durch das Rote Kreuz gewährleistete Status des Kriegsgefangenen und die „Erfindung der Entscheidungsschlacht“ (geht sie verloren, gibt General Lee im Amerikanischen Bürgerkrieg seine Niederlage zu und hört auf) ist auch die Kapitulation eine zivilisatorische Errungenschaft mitten in den Monstrositäten des Kriegs. Sie ist dem Vernichtungsprinzip abgerungen und folgt aus dem Wunsch nach Selbsterhaltung. Das Frontschwein spricht (meist erst am Ende des Kriegs): Kapitulation ist mein Menschenrecht.
In einer brillanten Untersuchung hat Dr. Holger Afflerbach, Professor für Central European History an der University of Leeds, die „Kunst der Niederlage und die Geschichte der Kapitulation“ untersucht.
Spannend und informativ.


► Abschaffung der Sonn- und Feiertage in der Sowjetunion
abschaffung-su-fahneDer Wochenrhythmus von Menschen hat tiefe Wurzeln. Die Französische Revolution wie auch die Russische Revolution scheiterten an der Sieben-Tage-Woche.
Mit Oskar Negt


► Großbelastungskörper mitten in Berlin
belastungskoerperFür die Planung der Großbauten Albert Speers und Hitlers in dem in GERMANIA umbenannten Berlin wurde die Belastungsmöglichkeit des Sandbodens getestet.
Der Großbelastungskörper, der jetzt schon über 70 Jahre seine Messungen macht, steht inmitten der Stadt. Einzelheiten der Planung für GERMANIA.