Zum Tod von Frank Schirrmacher: Auswandern des Denkens aus dem Gehirn


Gestern starb der Publizist Frank Schirrmacher im Alter von 54 Jahren in Folge eines Herzinfarkts. Der Autor, Journalist und Mitherausgeber der FAZ gehörte zu den großen Denkern und Feuilletonisten unserer Zeit: Als kritischer Beobachter der demographischen Entwicklung, als mahnender Begleiter des digitalen Fortschritts, als Kapitalismus- und Gesellschaftskritiker und zuletzt in der leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themenkomplexen NSA und Überwachung im Internet.
2010 sprach Alexander Kluge mit Frank Schirrmacher anlässlich des Erfolgs seines damals jüngsten Buches: Payback – Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen. Inhalt des Gespräches ist die Externalisierung des Denkens, der Tsunami der Informationen und die Herausforderung für die Öffentlichkeit, die damit einhergeht. Ein faszinierendes Gespräch über den Stand und die Zukunft der digitalen Welt, sowie ein eindringlicher Beweis dafür, dass die Welt gestern einen großen Denker verloren hat.

► Auswandern des Denkens aus dem Gehirn

 
Über das Phänomen Overmind

Frank Schirrmachers Buch Payback hat die öffentliche Diskussion über unsere digitale Welt verändert. Sein Untertitel lautet: „Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht wollen und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen“. Noch nie, sagt Dr. Schirrmacher, wurde die klassische Öffentlichkeit so herausgefordert wie heute von dem TSUNAMI DER INFORMATION, der über uns hinweg rollt. Er geht nicht nur vom Netz aus. Die Flut der Daten ist nämlich nur der Spiegel der noch viel unübersichtlicheren Tatsachen, die sie bezeichnen. Was tun? Wenn wir die Auswanderung des Denkens aus dem Gehirn in die Maschinen beobachten, so können wir auch umgekehrt in dem gleichen Organ immer noch Konzentrationen (Brunnen, Gärten, Kommentare) erzeugen.

Wie antwortet man wirksam auf die größte Herausforderung unserer Tage?


Literaturempfehlung:

Frank Schirrmacher – Payback

schirrmacher-paybackWarum sind wir im Informationszeitalter gezwungen zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie gewinnen wir die Kontrolle über unser Denken zurück?
Was wollte ich gerade tun? Wieso haben die Dinge kein Ende mehr? Was geschieht mit meinem Gehirn? Fast jeder kennt die neue Vergesslichkeit und die fast pathologische Zunahme von Konzentrationsstörungen. Dahinter steckt sehr viel mehr als nur Überforderung. Wir wissen mehr als je zuvor und fürchten doch ständig, das Wichtigste zu verpassen. Der Mensch ist nicht nur ein Fleisch- und Pflanzenfresser, er ist auch ein Informationsfresser. Informationen sind Vorteile und in der Informations-Nahrungskette siegt der, der am schnellsten und effektivsten Nachrichten sendet und empfängt. Aber diese neue Form des Darwinismus führt dazu, dass wir nicht mehr unterscheiden können, was wichtig ist und was nicht. Wir rufen unsere ganze Lebensbahn immer stärker wie Informationen ab und zerstören so unsere Fähigkeit, mit Unerwartetem umzugehen. Die Frage lautet, ob wir bereits begonnen haben, uns selbst wie Computer zu behandeln, und ob wir damit Gefahr laufen, den Menschen in mathematische Formeln zu verwandeln …
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