Grodek. Klage.


Am 5. August 1914 meldete sich Georg Trakl im Zuge der allgemeinen Mobilisierung zur „aktiven Dienstleistung“. Er diente als Sanitätsoffizier an der Ostfront im galizischen Grodek. Nach traumatischen Kriegserfahrungen in einer der „Todesgruben von Galizien“ erleidet Trakl einen Nervenzusammenbruch.

Während der Genesungszeit in einem Krakauer Garnisonsspital schreibt er zwei seiner berühmtesten Gedichte: „Grodek“ und „Klage“. Am 3. November 1914 stirbt Trakl nach einem Suizidversuch an Herzstillstand nach Einnahme einer Überdosis Kokain.

 

Grodek

Trakl_SignatureAm Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düster hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
 
 

trakl2Klage

Schlaf und Tod, die düstern Adler
Umrauschen nachtlang dieses Haupt:
Des Menschen goldnes Bildnis
Verschlänge die eisige Woge
Der Ewigkeit. An schaurigen Riffen
Zerschellt der purpurne Leib
Und es klagt die dunkle Stimme
Über dem Meer.
Schwester stürmischer Schwermut
Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt
Unter Sternen,
Dem schweigenden Antlitz der Nacht.

 
 
 
 
 
 

„Sterbensstandard“

422px-AugustStramm_27494a4ddcIn den letzten drei Tagen seines Lebens war der Dichter und Bataillonschef August Stramm in Rußland, trunken von Adrenalin, an der Spitze seiner Leute marschiert. Der Enthusiasmus des Vormarsches, aus den Karpatenpässen heraus und in die Ebene hinein, das gemeinsame energische Tun, kontaminierte die Geister (= Wetteifer, Tüchtigkeiten). Der Elan hatte den Lyriker und Kriegskenner (aber mit wieviel Haß hatte er schon dieses Monster besungen!) dazu gebracht, immer unvorsichtiger zu werden. Schon leugnete er den Feind und hielt sich selbst für »schußfest«. Den Tornister trug er vor der Brust als eine Art Schutzwehr. So traf ihn die Maschinengewehrgarbe, abgefeuert aus einem Sumpfgelände, in dem keiner der vordringenden Soldaten einen Gegner vermutet hätte.

Den Transport des Halbtoten, dem aus sieben Wunden das Blut entwich (schon vermischt mit Seim, ähnlich der Eiterflüssigkeit, die aus Blut entsteht, wenn es sich zersetzt), beschrieb Arno Schmidt in einem Text, den er in den siebziger Jahren in einem Anfall von Mißmut verbrannte: den hoffnungslosen Weg des expressiven Wörterschmieds auf seiner Bahre. Sie wurde von zwei seiner Kameraden getragen. Wäre der mobile Hauptverbandsplatz, der noch in den Bergen lag, wie am Vorabend befohlen, der Front nachgerückt, hätte ein Militärarzt den Mann, dem die Formulierungen im Kopf erstarrten (aber die Worte »Schmiervogel«, »stracks« und »dunkelwärts« suchte er sich noch zu merken), wenigstens in Teilstücken und als Trümmer retten können. Noch im Rollstuhl, ohne nutzbare Glieder, hätte dieser »Seher« dann in Diktaten die Erfahrung seines letzten Einsatzes festhalten können. Vermutlich hätten sich mit der Zeit einige seiner Formulierungen wiederholt, und nach zehn Jahren wären die starken »Wortgewölke« einem Leser übertrieben erschienen. Eine andere Mode des Ausdrucks hätte die rissige Sprache abgelöst. Verbittert, so Arno Schmidt, hätte der Dichter in seinem Wohnzimmer in einer deutschen Ortschaft gesessen; er hätte dann schlecht anfangen können, den Frühling oder die Arbeiterbewegung statt des Krieges zu besingen. Im frontnahen Hauptverbandsplatz aber, der zur k.u.k. Etappe gehörte, so Schmidts Bericht, der aber nichts Genaues darüber wußte, hatten Ärzte, Pflegepersonal und Transporteure am Vorabend kameradschaftlich gebechert, so daß ein früher Aufbruch am Morgen des Kampftages nicht in Betracht kam. Aus diesem Zögern heraus und nicht aus den Verletzungen folgte Stramms Tod. Die kooperative Spiritualität, die ihn in seinen letzten Tagen hingerissen hatte, war ihm aus den schußbegründeten Öffnungen in seiner Haut davongeströmt, DESERTEURE DER LEBENSKRAFT. Was so aussah, als beginne es zu eitern, war schon nicht mehr als Blut zu bedichten (das irgendwann gerinnt), sondern ein unablässiges Versickern, ein DURCHFALL DES GEISTES, so daß Stramm gleichgültig und unkämpferisch in Bezug auf sein Leben auf dem Hauptverbandsplatz ankam, wo ein Ärztevertreter ihn kurz betrachtete. Die Sanitätskolonne war jetzt aber bereits mit ihrem Aufbruch zur Front beschäftigt. Der Patient mußte warten. So jedenfalls, meinte Schmidt, wolle er selbst einst nicht sterben müssen, was ihm dann doch widerfuhr, als ihm in den Tagen vom 31. Mai bis zum 3. Juni zwar nicht Mut und Blut, sondern die Nervenverbindungen und die Sinngebung, die Geist und Körper zusammenhält, entschwanden. Zuletzt siechte er nur noch, ein Haufen Stoff, auf der Intensivstation einer norddeutschen Stadt dahin. Die Krankenanstalt war auf den Empfang des poeta laureatus nicht vorbereitet.