Aspen im Sommer

flugzeugAls ob es hundert Jahre solche Sommer gäbe! Die Gäste der Konferenz waren gebannt vom Hochgefühl, zu den wenigen Eingeladenen zu gehören. Was ist das mittlere Meinungsbild von 87 Personen, die es sämtlich darauf anlegen, nichts zu sagen, was die Übrigen verstimmen könnte, was anderen so missfällt, dass sie hier nicht wieder eingeladen werden? Noch konnten sich die USA aufgrund ihres maritimen Monopols China gegenüber frei bewegen. Aber was wird in vierzig Jahren sein? Das Thema der Konferenz hieß: Agenda 2040.

» Sie denken unablässig darüber nach, wann der geeignete Zeitpunkt sein könnte, mit einem Schlag das Taiwan-Problem 61 zu lösen.

» Wen meinen Sie mit »sie«?

» Die militärischen Planer Chinas.

» Wen davon kennen Sie?

» Ich kenne das massive Raketenarsenal, das auf dem Festland, der Insel gegenüber, bereits aufgebaut ist.

Zu diesem Zeitpunkt besaß der dänische Geheimdienst die besten Informationen über den Beratungsstand in der chinesischen militärischen Führung. Ohne viel zu tun, war den Dänen ein Maulwurf in den Kernbereich der chinesischen Führung hineingewachsen. Jetzt besaß der kleine Nato-Partner überschießende Informationen, die er quellenschonend mit den USA austauschte. Danach galt in der chinesischen Militärdoktrin ein Blitzkrieg (wie ihn Japan 1941 führte, Deutschland 1914 geplant hatte, an dem MacArthur 1951 scheiterte) als verwerfl ich. Keiner, dem seine Laufbahn etwas wert war, würde in der chinesischen Zentrale vorschlagen, eine Insel zu überfallen, wenn man nicht wusste, wie man im anschließenden Konfl ikt reagieren konnte. Sie ächten in ihren Reihen alle »Abenteurer«, meldete der Informant.

» Was verstehen Sie unter »vom Tisch fegen«?

» Wieso?

» Sie sprechen eben von Taiwan, Taiwan liegt auf keinem Tisch.

» Das ist ein Ausdruck.

» Aus Ausdrücken werden Realitäten geboren.

» Wie absurd, Ausdrücke mit Geburten zu vergleichen.

Der dänische Experte, ein Generalmajor, Führungsoffi zier des Maulwurfs, hatte den Wunsch, seinem höherrangigen US-Gegenüber zu erläutern, dass die chinesische Führung keineswegs »auf 62 Zeit spiele«. Sie spielt überhaupt nicht, sagte er. Sie hält auch nicht »das hegemoniale Profi l niedrig, um Zeit zu gewinnen und plötzlich die Züge eines Monsters anzunehmen«. Die Fraktion, die sich in den USA zu diesem Zeitpunkt mit dem »künftigen Hauptrivalen China« befasste, war zu aufgeregt, um auf die Nachrichten des kleinen Nato-Partners zu achten. Derselbe US-Chef, der den Dänen stehenließ (nur weil Wolfowitz gerade den Konferenzsaal betrat), schrieb am folgenden Tag in einem Artikel für das Journal für auswärtige Politik: »Bei allen technologischen Mitteln, die einer Supermacht im 21. Jahrhundert zur Verfügung stehen, können Kriege immer noch durch eine falsche Lagebeurteilung ausgelöst werden.« Das zielte aktuell auf den Irak und war ein Hieb gegen die im Pentagon vorherrschende Fraktion des Network-centric-warfare- Flügels, der alle Planstellen und Budgets an sich zog. Eine gelungene Bosheit. Auf die Grauzone des Jahres 2040, den Zeitpunkt, zu dem die China-Fraktion längst ihre Herrschaft anzutreten gedachte, war der Satz nicht gemünzt.