Neu im Catch-up Service: The touch of movies


Stephan Holl: Wann kommt der „Stummfilm mit Musik“?
In der Welt gibt es in den entlegensten Filmgenres Raritäten zu entdecken, die ihre Zuschauer bezaubern und zur Kunst rechnen. Das gilt z.B. für den japanischen Pink-Film. Das sind Filme, die in vier Tagen abgedreht sein müssen, in denen in bestimmten Minutenabständen Sex zu sehen ist und die für die Kinos an den Bahnhöfen, also für plebejische Nutzung, bestimmt sind. Auch hier finden sich aber plötzlich Kunstwerke und hinreißende „Ausnahmen von der Regel“.
Tief unter dem Dunstkreis des kommerziellen Films bewegt sich die Filmgeschichte partisanenähnlich weiter.
Bei schlafenden Menschen, die in ihre Träume eintauchen, gibt es die sogenannte REM-Phase.  Danach nennt sie ein deutscher Filmverleih, die Rapid Eye Movies (= REM). Der Verleih ist spezialisiert, filmische Raritäten und Kultfilme international zu finden und in der Spätschicht der Programmkinos in den Groß-städten zu platzieren. Zum Perlentauchergebiet gehört für Rapid Eye Movies der japanische, der indische FIlm, aber auch die Musikfilme Hollywoods. Wird es einmal wieder „Stummfilm mit Musik“ geben? Filme, in denen das Theaterdrama und die lästigen Dialoge nicht das verdecken, was der Film eigentlich kann und was ihn mit der Musik verbindet.
Begegnung mit Stephan Holl, der gemeinsam mit seiner Frau den erfolgreichen Verleih REM leitet: The touch of movies.
► The touch of movies (10 vor 11, Sendung vom 27.11.2017)


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► Perlentaucher unterwegs
Rapid Eye Movies ist ein besonderer Filmverleih und neuerdings auch Produzent. In dem besonderen Programm dieses Verleihs finden sich Raritäten wie der Kultfilm Space is the Place mit der Jazz-Ikone Sun Ra. Die letzte in der Welt vorhandene Kopie dieses Pop-Meisterwerks hat Rapid Eye Movies entdeckt und vom Filmformat ins Digitale überspielt.
Aber auch im Genre des japanischen Pink Films (Filme mit nur vier Tagen Drehzeit, erotisch-ritual, bestimmt für japanische Bahnhofskinos), findet Rapid Eye Movies Perlen wie Branded to Kill. Der Film zählt zur Avantgarde des Autorenfilms, niemand würde ihn unter dem Pink Film vermuten. Er zählt – lange vor Godard – zu den Glanzstücken der Nouvelle Vague. Und das in Japan.
Mit dem engen Blickwinkel Hollywoods und des europäischen Films ausgestattet, übersehen wir zu Unrecht, dass auch in den tausend Filmen, die in Indien jedes Jahr neu entstehen, und außerdem im chinesischen, dem philippinischen und dem afrikanischen Film Raritäten versteckt sind, die ins Kino zu holen sich lohnt. Vom Programm der Rapid Eye Movies sagt die Süddeutsche Zeitung: „Viele Stunden Kinoglückseeligkeit“. Und außerdem hat Rapid Eye Movies mit solchem Programm noch Erfolg.
Begegnung mit Stephan Holl, der mit seiner Frau gemeinsam Rapid Eye Movies leitet.


► Ein Gedicht hat kein Dach
Zu den modernsten Dichtern der U.S.A. gehört der New Yorker Ben Lerner. In seinem provozierenden Manifest „I hate poetry“ trennt er in einem Rundumschlag auf neue Art Kitsch von dem, was Dichtung wertvoll macht. Er geht aus vom „schlechtesten Gedicht der Welt“, geschrieben von William McGonagall über den Einsturz der Tay-Brücke in Schottland gibt einen Überblick über alles, was man in der Lyrik nicht machen soll und kommt zu dem Resultat: „Ich kann Dichtung nicht abschätzig betrachten, denn am Ende entdeckt man in ihr den Ort für das Authentische“.
Man nennt die ernsthafteste Auseinandersetzung mit Gott „negative Theologie“. Einem Scholastiker wie Maimonides geht es vor allem darum, was man von Gott nicht wissen kann. Das ist der Ausdruck des Respekts. Ähnlich gibt es, sagt Ben Lerner, die „negative Lyrik“ – sie vermeidet jede Phrase und weiß, dass auch das beste Gedicht, die Wurzel für die es geschrieben ist, nicht fassen kann. „Ich bin Patriot der Dichtkunst“, stellt Ben Lerner fest, „weil Plato so vehement dagegen ist“. Plato nämlich glaubt, dass Musik und das Poetische verweichlichen. Man soll nur auf den harten Verstand vertrauen. Das wiederum glaubt Ben Lerner, der Praktiker des Poetischen, überhaupt nicht.
Begegnung mit Ben Lerner aus Anlass einer Ausstellung im Palazzo Ca‘ Corner della Regina in Venedig.


► 140 Jahre Russisches Licht
„Russisches Licht“ hieß eine mondäne städtische Beleuchtungsart, zuerst in Paris erprobt, die das Gaslicht ablöste. Natascha Drubek nimmt dieses „Licht der Moderne“ als Metapher, um die tiefgreifende Beziehung des Lichts in den russischen Ikonen mit dem Licht in den einmaligen russischen Stummfilmen zu vergleichen, die ein Stück Klassik in der Filmgeschichte darstellen. Das gilt nicht nur für die legendären Filme von Eisenstein, Vertow, Pudowkin und anderen Meistern der 20er Jahre, sondern vor allem auch für den Stummfilm der Zeit bis 1917: Filme wie DÄMMERUNG EINER FRAUENSEELE von Jewgeni Bauer.
Das „Russische Licht“ von vor 140 Jahren leuchtete in den Großstädten nur kurz. Seine Faszination aber erstreckt sich etwa 20 Jahre länger als die Filmgeschichte: heute wäre „Russisches Licht“ (in der Gestalt großer Glaskugeln, der Ikonen des Stummfilms) ein Anknüpfungspunkt für jede Erneuerung des Films (der durch Hollywood-Abbildrealismus und die Medien totgequatscht ist).
Natascha Drubek über 140 Jahre „Russisches Licht“.


► Die zwei ägyptischen Krokodile
Primitive Diversity ist die Bezeichnung für die sogenannte „einfache Vielfalt“, nämlich die Bilderwelten, die dem Kino unmittelbar vorangingen. Das war vor allem die Laterna Magica: phantasiereiche Darstellungen, gemalt, in einem Rundkasch für Bildwerfer-Apparate, die diese Bilder vergrößert an die Wand warfen. Das hat hohe erzählerische und ästhetische Reize und ist keineswegs nur etwas für Kinder.
Im Beispiel von den zwei ägyptischen Krokodilen trifft ein ägyptischer Händler zwei Exemplare dieser Tiergattung. Er trägt sie zum Markt. Sie führen miteinander Zweikämpfe vor. Die Zuschauer sind begeistert. Am Schluss fressen die Krokodile den Händler. Die Geschichten sind vielfältig. Sie reichen von bekannten Romanen wie „Robinso Crusoe“ bis zu originellen Neuerfindungen wie die „Sintflut in der Wohnstube“. Geschichten wie Dr. Hoffmanns „Struwwelpeter“ sind in Art und Zeichnung mit den Laterna-Magica-Phantasien eng verwandt.
Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Sprenger, Universität Konstanz, über die Bilderwelten der „primitive diversity“.


► Wie sich die Seele nährt von Licht und Dunkel
Lichtwellenberge strömen in die Optik der Filmkamera ein und in dieser „Rhythmus-Maschine“ werden sie mit Dunkelheit versetzt. So entstehen Filme. Das Kinoerlebnis besteht aus solchen Lichtfrequenzen und nicht nur aus der „Handlung“ eines Films. Der Filmmacher Werner Nekes spricht von „Cinématographischen Feldern“. Diese, sagt er, bilden Zeitspeicher. Die Filme (Vorläufer des Films hat er zurück ins 15. Jahrhundert gesammelt) sind für lebendiges Leben viel notwendiger als man glaubt. Die Seele nährt sich nämlich von Licht und Dunkel. Eine Begegnung mit einem der Bedeutendsten Film-Avantgardisten in der Welt.